Vertrautes in der Fremde

Ambulante Betreuung für demenzkranke Menschen im Krankenhaus

Gesundheitsnetzwerker Preis 2018 - SEBKam

Wenn sich Menschen mit Demenz einer Krankenhausbehandlung unterziehen müssen, treten häufig unerwünschte, teilweise auch gravierende Probleme auf. Im Modellprojekt SEBKam – ausgezeichnet in der Kategorie Umsetzung – werden Betreuungskräfte aus der ambulanten Versorgung in den Krankenhausaufenthalt einbezogen, um diesen schonender für die Patienten zu gestalten.

Ein Krankenhausaufenthalt ist niemals erfreulich – bei Menschen mit Demenz bedeutet diese besondere Situation in fremder Umgebung und ohne Bezugspersonen einen kaum erträglichen Ausnahmezustand. Die Sinnhaftigkeit von Behandlungen kann von ihnen teilweise nicht nachvollzogen werden, was zu sogenanntem herausfordernden Verhalten führen kann: Sie rufen dann zum Beispiel ständig nach dem Personal, lösen sich die Verbände, ziehen Drainagen heraus oder beschließen, nach Hause zu gehen. Damit gefährden sie sich selbst und stellen den Behandlungserfolg in Frage. Die Abwehrreaktionen der Patienten sind teilweise so heftig, dass sie zu Überweisungen in die Psychiatrie führen.

Mit dem Modellprojekt SEBKam (Sektorübergreifender Einsatz von Betreuungskräften an der Schnittstelle von Krankenhaus und ambulanter Versorgung) setzt das Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft (iso) eine wegweisende Idee um, durch die der Krankenhausaufenthalt für Patienten mit Demenz durch ambulante Betreuung möglichst erfolgreich und so wenig wie möglich belastend gestaltet werden soll. An der Schnittstelle von ambulanter Versorgung (SGB XI) und Akutkrankenhaus (SGB V) gewährleistet das Projekt die sektorübergreifende Kontinuität von Aktivierung und Betreuung von Demenzkranken.

Der Innovationsgehalt von SEBKam liegt vor allem in der Vernetzung von Akteuren, die bisher in der Regel kaum miteinander kooperiert haben. Beteiligt sind zwei Akutkrankenhäuser, eine Klinik für Psychiatrie und Geriatrie sowie zwei ambulante Pflegedienste. Eingebunden sind darüber hinaus die Hausärzte der Patienten, die mit einem Entlassbrief über die modellhaften Leistungen und ihre Wirkung beim Patienten informiert werden. Die Integration in die Region wird über eine Steuerungsgruppe mit weiteren wichtigen Institutionen, wie der Landesfachstelle Demenz, geleistet. Eine Kooperationsvereinbarung mit den regionalen Kassen soll den Transfer nach Modellende vereinfachen.

Zu den größten Herausforderungen gehört es bei SEBKam, eine völlig neue Berufsgruppe in den Krankenhausalltag zu integrieren. Betreuungskräfte, die gewohnt sind, selbstständig zu entscheiden, müssen plötzlich in strukturierten Abläufen und Teams mitarbeiten. Dabei wurden anfangs bestehende Berührungsängste zwischen Betreuungskräften und dem Krankenhauspersonal durch eine Prozessbegleitung schrittweise abgebaut. Ambulante Dienste und Akutkrankenhäuser entwickelten gemeinsam die „Schulungseinheit Akutversorgung“, um den Betreuungskräften die Besonderheiten des neuen Einsatzfeldes zu vermitteln.

Im Rahmen der Evaluation werden die Effekte des Einsatzes von Betreuungskräften vergleichend betrachtet. Zur Untersuchung des Kriteriums „Patientensicherheit“ wird ein Kontrollgruppen-Vergleich vorgenommen. Dazu werden Patientenstichproben aus den Stationen, in denen Betreuungskräfte zum Einsatz kommen, mit Patientenstichproben derselben Stationen vor Implementierung der Betreuung verglichen. Die Untersuchung der Kostenwirksamkeit erfolgt mithilfe eines Matched-Pairs-Verfahrens. Dabei werden die Daten der Interventionsgruppen den Krankenkassendaten vergleichbarer Patientengruppen gegenübergestellt. Darüber hinaus erfolgt eine Analyse der Kooperation der Akteure auf der institutionellen Ebene sowie der strukturellen und finanziellen Rahmenbedingungen für den Einsatz von Betreuungskräften im Krankenhaus.

Jurybegründung

Die Jury hebt vor allem die Betreuung über die Grenzen von SGB V und SGB XI-Leistungen hervor. Hier werden sinnvolle neue Strukturen erprobt, die typische Probleme nachhaltig lösen können. Eine gute Betreuung Demenzkranker im Krankenhaus kann so den Krankenhausaufenthalt entspannter und mit weniger Komplikationen gestalten.

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