Berlin-Chemie Newsletter vom 20. Dezember 2016

Berlin-Chemie Newsletter vom 20. Dezember 2016

  • Theater mit Happy End
  • Medizinstudium 2020: Neue Ärzte für das Land
  • Gröhes Schnellschuss: Kommt ein Versandhandelsverbot?
  • Krebsregister: Schritt für Schritt
  • AM-VSG: Falscher Weg?
  • AMTS: Selbst ist das System
  • Krankenhaus Branchentreff
  • Dunkle Vorboten aus Österreich

Theater mit Happy End

Über mehrere Stunden herrschte keine Einigkeit. Einige Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigungen stemmten sich vehement gegen die Verabschiedung der neuen Satzung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Das Aufbäumen blieb jedoch wirkungslos. KBV-Chef Dr. Andreas Gassen behauptete sich vorerst im Amt. Die Psychotherapeuten freuen sich über kleine Zugeständnisse. Ein Ärzte-Verband trat anschließend gegen die scheidende Vorständin Regina Feldmann nach.

Die Mehrheit der KBV-Delegierten zeigte sich zum Ende der Amtsperiode nicht zufrieden. Darunter hätte beinahe die neue Satzung leiden müssen, denn deren Verabschiedung war lange Zeit unklar. Nur Gassen sprach trotz aller Kritik, Skandale und internen Streitereien von einer wirklich erfolgreichen Zeit. Was anderes hätte Gassen auch nicht sagen dürfen, schließlich erklärte der KBV-Chef seine erneute Kandidatur für den KBV-Vorsitz. Ein neuer Vorstand wird voraussichtlich im März 2017 gewählt. Die Probleme mit der APO-Immobiliengesellschaft im Immobilienskandal seien gelöst worden. Nun müssten die Gerichte offene Fragen mit dem Dienstvertrag des Ex-KBV-Vorstandschefs Andreas Köhler lösen. Die KBV brauche das Selbstverwaltungsstärkungsgesetz nicht, sondern die Vertretung der Ärzte müsse wieder glaubwürdig werden. Eine zu stark beschnittene Selbstverwaltung könne ihre Aufgaben nicht oder nur schlecht erfüllen.

Die scheidende Vorstandsvorsitzende Regina Feldmann sah eine Teilschuld im Bundesgesundheitsministerium. Dort seien viele KBV-Vorgänge bekannt gewesen. Die KBV sei zur Aufklärung verpflichtet gewesen und die Überbringer der schlechten Botschaften dürften dafür nicht gegeißelt werden. Persönliche Bereicherung und Vetternwirtschaft dürfe es in der Körperschaft nie wieder geben. Im Nachgang der Versammlung kommentierte der Vorsitzende des NAV-Virchow-Bundes, Dr. Dirk Heinrich, in äußerst scharfem Ton die Amtszeit von Feldmann: „Durch das regelmäßige und massenhafte Durchstechen von Interna, das Streuen von hunderten Seiten vertraulicher Dokumente, begleitet von öffentlichem Getöse, hatte die KBV ein verheerendes Bild nach Außen gegeben. Dass Frau Feldmann die einzige namhafte Funktionsträgerin aus dem KV-System war, die das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz begrüßte, spricht Bände.“ Auch der Vorstandschef des MEDI-Verbunds, Dr. Werner Baumgärtner, sprach von einer nicht sehr erfolgreichen Legislaturperiode. Die Stimme der KBV zähle nichts mehr und es gebe keine politische Vertretung mehr in der KBV. Dennoch sei das Selbstverwaltungsstärkungsgesetz nicht akzeptabel. Es dürfe kein Eingriff in die Satzung zugelassen werden. „Wir können nicht wieder sechs Jahre so weitermachen." Die KBV müsse wieder die politischen Interessen der Ärzte vertreten, anstatt die Vorgaben der Politik umzusetzen. Dr. Norbert Metke, Vorsitzender des Vorstands der KV Baden-Württemberg, warnte zuerst vor einer erneuten Konfrontation mit der Politik und plädierte erst einmal für das Verschieben der Abstimmung über die Satzung. Diesen Antrag zog er später unter Beifall zurück. Dr. Burkhard John, Vorstandsvorsitzender der KV Sachsen-Anhalt, schloss sich Metke an und forderte den Satzungsbeschluss unter einer neuen Gesetzeslage. Obwohl Kollegen als „trickreich“ bezeichnet wurden, war das Diskussionsklima dennoch ein gutes. Letztlich setzten sich die Kollegen, die für das Beschließen der Satzung waren, durch.

Die neue Satzung sieht auch eine Stärkung der Psychotherapeuten vor. In den meisten Ausschüssen der KBV werden diese künftig mit immerhin einem Sitz vertreten sein. Außerdem wurde ein Vorstandsbeauftragter für die Angelegenheiten der beiden Berufsgruppen Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten in der Satzung verankert. Nach der Satzung der KBV ist nun auch möglich, dass ein Psychotherapeut in den Vorstand gewählt wird. Dies erscheint jedoch unwahrscheinlich, denn das GKV-SVSG sieht vor‚ dass mindestens eines der drei künftigen Mitglieder des Vorstandes weder an der hausärztlichen noch an der fachärztlichen Versorgung teilnehmen darf.

Medizinstudium 2020: Neue Ärzte für das Land

Eigentlich sollte das Projekt „Masterplan Medizinstudium 2020“ bereits vor gut einem halben Jahr verabschiedet werden. An einigen Kernfragen, insbesondere der „Landarztquote“ und der Verpflichtung der Bundesländer zur Finanzierung der Änderung der Ausbildung an den Universitäten scheiden sich jedoch noch die Geister.

Eigentlich hätte er bereits im April verabschiedet sein sollen. Nun droht der „Masterplan Medizinstudium 2020“ eines der wenigen Projekte des Koalitionsvertrags der Regierung zu werden, das in dieser Legislaturperiode möglicherweise nicht umgesetzt wird. Hauptgrund: Die Bundesländer hadern noch mit der Finanzierung der ehrgeizigen Neuregelungen des Masterplans. 37 Maßnahmen umfasst der Plan, der formell noch als „vertraulich“ die Runde macht. Unter den Experten sind die Regelungen inzwischen weitgehend auf Konsens verhandelt. Gäbe es da nicht – neben den Finanzierungsfragen – die Studierenden selbst, die manche Vorhaben zumindest mit Stirnrunzeln betrachten. Da wäre als erstes die so genannte „Landarztquote“. Es sollen insgesamt nicht mehr Studienplätze eingerichtet werden, dafür aber bei der Vergabe nach bestimmten Bedarfskriterien entschieden werden. So soll den Ländern als Trägern der Universitäten ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt werden, Studienplätze an Bewerber zu vergeben, die sich verpflichten nach der Weiterbildung mindestens zehn Jahre hausärztlich in schlecht versorgten Regionen zu arbeiten. Wirksame Sanktionen sollen eine solche Verpflichtung absichern. Nicht ganz einverstanden sind die Medizinstudierenden auch mit der Umsetzung der grundsätzlich durchaus akzeptierten Verpflichtung, sich stärker in der Allgemeinmedizin auszubilden. Das Praktische Jahr soll drei künftig vier Ausbildungsabschnitte je zwölf Wochen haben, wovon ein Quartal verpflichtend in der ambulanten Versorgung stattfinden muss. Eine Famulatur in der Hausarztpraxis kann entfallen, jedoch sind regelmäßige Hospitationen in regionalen Lehrkrankenhäusern und Praxen Pflicht.

Überhaupt soll die „praxisnahe Ausbildung“ ein höheres Gewicht bekommen, da in den Universitäten aufgrund des medizinischen Fortschritts Routinefälle kaum noch auftreten, die zunehmend in der ambulanten Versorgung oder in Stationen der Grundversorgung behandelt werden. Neu ist auch, dass die Studienzulassung sich grundsätzlich stärker an Kriterien orientieren soll, die nicht allein durch die Abiturnote bestimmt werden. Durch persönliches Engagement, ehrenamtliche Tätigkeiten, einschlägige Praktika oder Tätigkeit in medizinischen Berufen belegtes intensives Interesse an der ärztlichen Tätigkeit soll ein wichtiges Auswahlkriterium werden. Ebenso soziales und kommunikatives Verhalten der Bewerber und das Signalisieren einer entsprechenden Leistungsbereitschaft. Der nationale kompetenzbasierte Lernzielkatalog soll zudem neben fachlichem Wissen um die Vermittlung von sozialen und ethischen „Fähigkeiten, Fertigkeiten und Haltungen“ erweitert werden. Das soll sich auch in der ärztlichen Approbationsordnung sowie in Prüfungsinhalten wiederfinden. Auch die wissenschaftliche Qualität des Studiums soll gestärkt werden. So sollen Medizinstudierende demnächst zwingend im Rahmen des Studiums Forschung betreiben und eine wissenschaftliche Arbeit verfassen, die zwar nicht automatisch – wie in einigen Ländern – als Doktorarbeit gilt jedoch hin zur Promotion erweitert werden kann. Schließlich soll das Thema „Digitalisierung der Versorgung“ einen weitaus größeren Stellenwert erhalten, wie es beispielsweise bereits in den Niederlanden oder auch in Estland der Fall ist.

Gröhes Schnellschuss: Kommt ein Versandhandelsverbot?

Nach dem EuGH-Urteil mit Genehmigung von Boni für rezeptpflichtige Medikamente ausländischer Versandhändler schlagen die Wogen hoch. Im Eiltempo legte der Gesundheitsminister ein Verbotsgesetz vor. Aber kommt er damit in der Politik und vor Gerichten durch?

Der Druck war wohl enorm, Nur wenige Wochen nach dem EuGH-Urteil, das ausländischen Versandapotheken Rabatte auf verschreibungspflichtige Medikamente erlaubte, legte Gesundheitsminister Gröhe einen Gesetzesentwurf zum Verbot des Versandhandels vor. Mitgetragen von mehreren Bundesländern, ist jedoch der Koalitionspartner SPD dagegen. Keine Überraschung, hatte doch SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt den Versandhandel 2004 explizit genehmigt. Inzwischen gibt es allein in Deutschland 120 Versandapotheken. Die ABDA und mit ihr große Teile der Apothekerschaft fürchten aufgrund des EuGH-Urteils einen Wegfall der Preisbindung rezeptpflichtiger Medikamente und somit eine wirtschaftliche Gefährdung kleinerer Apotheken – vor allem in ländlichen Regionen. Ihre Argumente sind vor allem die persönliche Betreuung, schnelle Verfügbarkeit sowie die Sicherstellung eines Nacht- und Notdienstes der Apotheken und die Beratung. Der über den Preis entstehende Wettbewerb werde das Apothekensterben in Deutschland beschleunigen, so die ABDA. Insgesamt macht der Versandhandel mit rezeptpflichtigen Präparaten (Rx) zwar momentan weniger als ein halbes Prozent des gesamten Arzneimittelumsatzes von 40 Milliarden Euro aus, niedergelassene Apotheken in Deutschland verdienen dagegen 83 Prozent ihres Umsatzes mit Rx-Medikamenten.

Gröhe findet nicht nur beim Koalitionspartner SPD Widerstand gegen seinen Gesetzesvorstoß. Auch in den eigenen Reihen gibt es Stimmen, die im Zeitalter von Digitalisierung und europäischem Binnenmarkt die Gesetzesregelung für den falschen Ansatz halten. Vielmehr sollten durch zusätzliche Vergütungswege, beispielsweise für Not- und Bereitschaftsdienst oder andere Honorar-Mechanismen Anreize geschaffen werden, wo die flächendeckende Versorgung gefährdet scheine. Selbst in der Apothekerschaft glaubt man nicht, dass sich ein Versandhandelsverbot längerfristig juristisch halten lässt. Deshalb gibt es bereits auch hier Ansätze, Kompensation durch die Festschreibung zusätzlicher Leistungen zu schaffen, die sich am Ende natürlich auch im Honorar niederschlagen sollen. Neben Not- und Bereitschaftsdienst denkt man beispielsweise auch an eine Verpflichtung zum heute schon auf freiwilliger Basis existierenden Lieferservice an die Haustür. Das von Gröhe vorgelegte Gesetz muss durch alle Instanzen der parlamentarischen Beratung. Dass dieses bis Ende der Legislaturperiode gelingt, halten Insider aufgrund der strittigen Diskussion für unwahrscheinlich. Deshalb scheint das Ziel wohl eher zu sein, unliebsame Diskussionen mit der Apothekerschaft aus dem Wahlkampf in 2017 heraus zu halten.

Krebsregister: Schritt für Schritt

Die Datenintegration in die deutschen Krebsregister wird durch IT-Wildwuchs, fehlende Angaben und unbekannte Bezeichnungen gehemmt.

Wahrscheinlich kennen Sie folgende Situation. Sie stolpern daheim oder am Arbeitsplatz über eine Notiz, die offensichtlich Ihrer Feder entstammt, welche Sie aber absolut nicht einordnen können. So geht es auch denjenigen, die Datensätze aus anderen Datenbanken in die neuen Krebsregister der Bundesländer einpflegen sollen. Vor allem die Datenbank des Gießener Tumordokumentationssystems (GTDS) sei ein Problem, erklärte Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann vom Zentralen Klinischen Krebsregister Mecklenburg-Vorpommern und Leitung der Abteilung Versorgungsepidemiologie und Community Health an der Universitätsmedizin Greifswald, auf dem TMF-Forum „Sekundärnutzung von Daten“. Die Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung ist die Dachorganisation für die medizinische Verbundforschung in Deutschland. Die GTDS ist mit über 400 Tabellen und 7000 Variablen ziemlich groß. Und dann müsse der Datenschatz nicht selten noch mühselig entschlüsselt werden, weil es viele Bezeichnungen gebe, zu denen es kein „Data-Dictionary“ gebe. Datenbankübergreifende einheitlichen Benennungsmethoden gibt es kaum oder gar nicht.

Klinische Krebsregister sollen der Qualitätssicherung der Versorgung dienen. Dabei gibt es drei unterschiedliche Typen in Deutschland: Acht gemeinsame klinische-epidemiologische Krebsregister, wahlweise mit Außenstellen, sechs eigenständige klinische Krebsregister und ein dezentrales klinisches Krebsregister mit zentralen Strukturen. Unabhängig von der Organisationsstruktur müssen alle Register ab dem 01.01.2018 alle 43 Kriterien des GKV-Spitzenverbands erfüllen. Ansonsten dürften die Kassen die Krebsregister nicht finanzieren, erklärte Hans-Werner Pfeifer vom GKV-Spitzenverband. Bis zum 31.12.2018 sollen alle Krebsregister spätestens nach diesen Kriterien aufgebaut sein. Bisher gebe es noch so viele Mängel, dass die Frist wohl kaum in jedem Bundesland eingehalten werden könne.

Hoffmann könnte eigentlich zufrieden sein. Ein Prognos-Gutachten im Auftrag des GKV-Spitzenverbandes teilte die Krebsregister nach ihrem Entwicklungsfortschritt in rot, gelb oder grün ein. Mecklenburg-Vorpommern, das sich bereits 2011 auf landespolitischer Ebene für ein Krebsregister entschied und somit zwei Jahre vor dem Krebsfrüherkennungs- und -registergesetz (KFRG) der Bundesregierung, schnitt sehr gut ab. Für Hoffmann zu viel des Lobes. In MV gibt es vier regionale Krebsregister. Die Daten werden in der Zentralstelle der Krebsregistrierung (ZKR) zusammengeführt. Registerübergreifende Datenauswertung habe in MV noch gar nicht stattgefunden. Und dann wären dort noch die horrenden Unterschiede in der Meldequalität. Bei vielen Meldungen würden bis zu 80 Prozent der Angaben fehlen. Einige Pflichtvariablen würden sogar zu 100 Prozent fehlen und somit nie gemeldet werden. „Auch die Krankenversichertennummern, die ich zur Abrechnung brauche, sind nur bei zehn Prozent der Fälle dokumentiert“, kritisierte Hoffmann. Und Pfeifer merkte an, dass es eine Einigung auf eine Software in allen Krebsregistern leider nicht gebe. „Es gibt überall unterschiedliche Lösungen“, so der Kassenvertreter.

AM-VSG: Falscher Weg?

Letzte Woche fand im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages die Anhörung zum Gesetz zur Stärkung der Arzneimittelversorgung in der GKV (AM-VSG) statt. Und auch dieses vermeintliche Stärkungsgesetz der Ära Hermann Gröhe findet kaum ein Akteur wirklich stark.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung kritisierte jüngst, dass die „Ergebnisse des Pharmadialogs offenkundig unmittelbar in diesen Regierungsentwurf Eingang gefunden haben, ohne diese zuvor einer Diskussion und Prüfung mit der Vertragsärzteschaft und weiteren maßgeblich an der Arzneimittelversorgung und -steuerung beteiligten Akteuren unterzogen zu haben“. Problem ist weiterhin ein Einfrieren der Preise. Der Gesetzgeber beabsichtigt, das zum 31. Dezember 2017 ablaufende Preismoratorium vorzeitig bis 2022 zu verlängern. Preissteigerungen in der Produktion können rückwirkend seit 2009, der Einführung des Preismoratoriums, nicht mehr über Preisanpassungen der Arzneimittel ausgeglichen werden. Was in der öffentlichen Diskussion häufig vergessen wird, sind die steigenden Qualitätsanforderungen, die nicht zuletzt durch die EU den Pharmaunternehmen auferlegt werden und nur mit zusätzlichen und gut ausgebildeten Fachkräften für Qualitätssicherheit zu bewerkstelligen sind. Das sind der Konsequenz richtige und wichtige Maßnahmen, denn die Sicherheit von Arzneimitteln ist oberstes Gebot. Dennoch sind steigende Sicherheitsmaßnahmen nicht zum Nulltarif zu bekommen. Das ist bei Flugzeugen nicht anders wie bei Arzneimitteln. Darüber hinaus, so die Verbände, sind die Effizienzreserven bei der Arzneimittelherstellung infolge vielfacher Regulierungen wie Rabattverträge oder Herstellerabschläge bereits erschöpft. Da ändert selbst das Zugeständnis eines Inflationsausgleichs ab 2018 nichts, denn dadurch können lediglich die moderaten Preissteigerungen bei den Rohstoffen ausgleichen werden. „Das Preismoratorium mit der Sicherung der Stabilität der GKV zu begründen, ist angesichts der seit Jahren exzellenten Finanzlage der Krankenkassen nicht zu verteidigen“, meint zum Beispiel Dr. Martin Zentgraf, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI). „Diese Zwangsmaßnahme schädigt den Mittelstand und ist eine untragbare Bremse für Produkte, Forschung, Entwicklung“, so Zentgraf. Dr. Hermann Kortland, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller e.V. (BAH), weist darüber hinaus auf die stetig steigenden finanziellen Herausforderungen im regulatorischen Bereich hin: „Alleine die Umsetzung der EU-Fälschungsschutz-Richtlinie wird die Arzneimittel-Hersteller in den kommenden Jahren mit rund einer Milliarde Euro belasten.“ Letzten Endes kann es in niemandes Interesse sein, wenn ein Produkt vom Markt verschwindet, weil eine kostendeckende Produktion nicht mehr möglich ist.

AMTS: Selbst ist das System

Weil immer noch hohe Kosten im Gesundheitssystem durch Patienten verursacht werden, die mit den falschen Arzneimitteln oder Wirkstoffkombinationen behandelt werden, ist eine große Kasse jetzt mit einem eigenen Projekt aktiv geworden.

Das Thema Arzneimitteltherapiesicherheit erhält immer mehr Aufmerksamkeit, nicht zuletzt durch den im August vom Bundeskabinett veröffentlichten Aktionsplan zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit. Und das ist auch gut so, basieren fünf Prozent der Krankenhauseinweisungen auf unerwünschten Arzneimittelereignissen. Gröhes Plan umfasst 42 Maßnahmen. Politische Pläne und deren zeitnahe Umsetzung sind sich aber nun einmal fremd. Daher erscheint es nur logisch, dass einige Krankenkassen, welche durch eine bessere Arzneimitteltherapiesicherheit gleichzeitig eine Menge Geld sparen könnten, in eigene AMTS-Projekte investieren. Große Hoffnungen ruhen auf dem Medikationsplan. In einer neuen Studie wurde die aktuelle Medikation von Patienten mit deren vorhandener Medikationsliste verglichen. Das Ergebnis ist beunruhigend. Keine der 399 untersuchten Medikationslisten enthielt für alle Arzneimittel Informationen in den einzelnen Kategorien der bundeseinheitlichen Vorgabe. Lediglich in 30 Prozent der Fälle wurde das verwendete Fertigarzneimittel namentlich angegeben.

Deshalb hat die Barmer GEK nun das Projekt „Anwendung für ein digital unterstütztes Arzneimitteltherapie-Management" (AdAM)“ ins Leben gerufen. Hierbei sollen alle Medikamenteninformationen von der Krankenkasse beim Hausarzt zusammenlaufen, nach entsprechender Genehmigung des Patienten. Der Arzt soll künftig elektronisch unterstützt die Arzneimitteltherapie für einzelne Patienten prüfen können und Hinweise zu neuen Arzneimitteln, Risiken und G-BA-Beschlüssen erhalten. In die Testphase werden 1400 Hausärzte und bis zu 35.000 Patienten eingebunden. Dabei ist AdAM nur als Ergänzung und nicht als Ersatz für den vorhandenen Medikationsplan gedacht. „Wir wollen definitiv kein Konkurrenzmodell aufbauen, wir verstehen uns eher als Zulieferer von Informationen dafür“, erklärt Barmer-Vorstand Dr. Mani Rafii. Das Projekt wird mit 16 Millionen Euro aus dem Innovationsfonds gefördert. Nach drei Jahren des Testens in Westfalen-Lippe mit wissenschaftlicher Evaluation soll es in die Regelversorgung kommen. Klar, welches Ziel sollte eine mit Millionen geförderte Krankenkasse sonst ausgeben? Zusätzlich rechnet die Kasse durch die Vermeidung inadäquater Verordnungen mit hohen Einsparungen. Bei einer Überführung in die Regelversorgung sollen sogar bis 2,75 Milliarden Euro eingespart werden können.

Krankenhaus Branchentreff

Vielen Krankenhäusern geht es wirtschaftlich schlecht. Bei dem Branchentreff wurden die größten Herausforderungen für die Zukunft thematisiert und Lösungen aufgezeigt.

33 Prozent der Krankenhäuser haben 2015 Verluste geschrieben. Und nur 24 Prozent erwarten im kommenden Jahr eine wirtschaftliche Verbesserung. Die personelle Ausstattung? Ein Dauerthema. „Jedes zweite Krankenhaus hat Stellenbesetzungsprobleme im Pflegedienst“, erklärte Dr. Karl Blum, Leiter des Geschäftsbereichs Forschung des Deutschen Krankenhausinstituts, beim Krankenhaus-Branchentreff des DKI und des VKD in Berlin. In großen Häusern mit mehr als 600 Betten haben 2016 sogar 60,5 Prozent beklagt, ihre Stellen nicht besetzen zu können. Vor fünf Jahren waren es 53,1 Prozent. Auch im OP fehlen Mitarbeiter: 43,7 Prozent der Kliniken fanden in diesem Jahr nicht genügend Personal für den nicht-ärztlichen OP-Dienst. Im nicht-ärztlichen Anästhesiedienst waren es 29,2 Prozent. Um den Fachkräftemangel zu beseitigen, fordert der Präsident des Deutschen Pflegerats, Andreas Westerfellhaus, endlich Reformen: „Wir setzen große Hoffnungen in das Pflegeberufereformgesetz. Es darf nicht sein, dass es zu Tode diskutiert wird.” Doch das waren nicht alle Probleme, die beim Branchentreff angesprochen wurden. Dr. Josef Düllings, Präsident des Verbandes der Krankenhausdirektoren Deutschlands, forderte, das Manko der Investitionsfinanzierung zu beheben. Nur so könne langfristig der IT-Bereich ausgebaut und damit Zeit gespart und mehr Patientensicherheit generiert werden. Der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Georg Baum, kritisiert die jetzige Form der Selbstverwaltung. Diese Kritik teilt Prof. Hans Fred Weiser, Präsident des Verbandes der Leitenden Krankenhausärzte Deutschlands. Er will die Politik mehr arbeiten sehen: „Die Gesundheitspolitik verlagert Probleme auf die Selbstverwaltung, die sich längst überholt hat.”

Dunkle Vorboten aus Österreich

Zentren statt Praxen – davor fürchten sich auch die deutschen Allgemeinmediziner. Dass nun Österreich den Anfang macht, verstehen viele als einen dunklen Vorboten.

Bei dem Wort Primärversorgungszentrum wird auch den deutschen Hausärzten Angst und Bange. In Österreich protestieren die Allgemeinmediziner gerade gegen ein neues Gesetz, das die Gesundheitsversorgung neu strukturieren soll. 75 Primärversorgungszentren sind in diesem Zuge in Österreich geplant. Mindestens drei Ärzte und Angehörige anderer Gesundheitsberufe sollen dort tätig sein und als Mittler zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten fungieren. Das soll die Effizienz des Gesundheitssystems steigern und Kosten reduzieren. Der Sozialversicherungsträger will das Honorarmodell der Ärzte damit weitgehend von der Einzelfallvergütung auf Pauschalabrechnung umstellen. Die Sorge kleiner, privat geführter Arztpraxen: Sie können dem finanziellen Druck nicht standhalten. Die streikenden Ärzte kämpfen nun für den Erhalt des bestehenden Systems und argumentieren mit der wichtigen Vertrauensbasis zwischen Hausarzt und Patient, die in einem Primärversorgungszentrum so nicht zu realisieren sei.

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