Berlin-Chemie Newsletter vom 14. Februar 2019

Berlin-Chemie Newsletter vom 14. Februar 2019

  • TSVG – der Weg zur Bürgerversicherung?
    Prof. Karl Lauterbach ordnet Spahns Gesundheitspolitik für die SPD ein
  • Standardisierung: Behält die KBV ihren Teil?
    Viel Widerstand und Bedenken bei der zweiten TSVG-Anhörung
  • Herzbericht: Zu wenig Prävention
    Bessere Behandlungen, mehr Krankenhausfälle
  • Fernbehandlung – wer darf was?
    Die Kassenärztlichen Vereinigungen wollen Klarheit schaffen
  • Morbi-RSA: Das Vollmodell scheint unausweichlich
    Die Ersatzkassen denken um
  • Digitalisierung bei Diabetes: Gaspedal durchtreten!
    Neue Anforderungen, neue Chancen
  • Ein neues System schiebt Wache
    Arzneimittelfälscher haben es künftig schwieriger
  • Zahl der Apotheken weiter rückläufig
    Nicht alle Bundesländer sind betroffen

TSVG – der Weg zur Bürgerversicherung?

Der Gesundheitsexperte der SPD, Prof. Karl Lauterbach, sieht im Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) einen Schritt hin zur Bürgerversicherung.

Prof. Karl Lauterbach war und ist einer der großen Verfechter der Bürgerversicherung. Bei den Koalitionsverhandlungen konnte sich der SPD-Gesundheitsexperte damit zwar nicht durchsetzen, aber er rang der CDU/CSU den Kompromiss ab, die Versorgung der gesetzlich Versicherten deutlich zu verbessern und die vermeintliche Zwei-Klassen-Medizin ein Stück weit aufzubrechen. Mit dem Entwurf zum geplanten Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) sei das gelungen, so Lauterbach bei einem Hintergrundgespräch in Berlin. Für ihn sei das geplante Gesetz ein Schritt hin zur Bürgerversicherung. Gesundheitsminister Jens Spahn verkauft es den Ärzten hingegen als Verhinderungsmaßnahme gegen die Bürgerversicherung.

Das Tempo, das der Minister aktuell mit den ganzen Gesetzesvorhaben fährt, beeindruckt Lauterbach wenig. Schließlich habe Spahn ein ganzes Ministerium hinter sich und müsse den Koalitionsvertrag, den er selbst mit erarbeitet hat, Stück für Stück abarbeiten.
In Sachen morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA), der als nächstes reformiert werden soll, erklärt Lauterbach, dass er ein Vollmodell für den richtigen Weg hält. Die Einführung einer Regionalkomponente hält er darüber hinaus für sinnvoll, wenn sie richtig ausgestaltet ist. Zusätzlich wünscht sich der SPD-Gesundheitsexperte größere Präventionsanreize. „Was wir auf keinen Fall mitmachen werden, ist, dass man durch die Hintertür die Selektiv- und Hausarztverträge aushebelt. Diese Verträge machen eine korrekte Kodierung der Diagnose zur Voraussetzung.“

Mit dem Kompromiss zum §219a ist Lauterbach zufrieden. Allerdings habe die Diskussion auch andere Fragen aufgeworfen: Was ist zum Beispiel mit der Qualitätssicherung bei Schwangerschaftsabbrüchen? Bislang gebe es keine Weiterbildungsmöglichkeiten für Ärzte. Das will der SPD-Politiker nun ändern: „Die Situation ist gerade unhaltbar.“

Standardisierung: Behält die KBV ihren Teil?

Die zweite Anhörung zum Terminservice- und Versorgungsgesetz im Gesundheitsausschuss stellte neben der Digitalisierung auch ein eher überraschendes Thema in den Mittelpunkt.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung soll künftig festlegen, was syntaktisch und semantisch für die medizinischen Daten und die Interoperabilität von Befunden in der elektronischen Patientenakte erforderlich ist. Auch bei der zweiten Anhörung zum Terminservice- und Versorgungsgesetz wurde jede Menge Widerstand laut. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft erklärte durch Hauptgeschäftsführer Georg Baum, dass sie „entsetzt ist“, dass ein Partner der gematik-Gesellschafter ausgewählt werde, um alleine darüber zu entscheiden. „Hinter der semantischen Interoperabilität steckt mehr als nur der Arztbrief“, so Baum. Er forderte, dass die Verantwortung zurück in die Mitte der Selbstverwaltung gelegt werden müsse. Denn für die Krankenhäuser sei immer noch die DKG zuständig, so Baum. Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, erklärte auf die Frage von Bettina Müller (SPD), dass es im Grundsatz richtig sei, dass der Gesetzgeber Verantwortlichkeiten per Gesetz benenne. Es gebe aber Korrekturbedarf dahingehend, dass die Inhalte der Akte durch die Krankenversicherung festgelegt werden sollten und die KBV nur für die technische Umsetzung dessen, „was in die Fächer kommt“ zuständig sein sollte. Auch Bundesärztekammer-Präsident Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery schloss sich den Vorrednern an und sprach sich für die Einrichtung einer Handlungsgruppe aller beteiligten Leistungserbringer und Kostenträger aus. Der Bundesverband Gesundheits-IT betonte, dass die richtige Setzung von syntaktischen und semantischen Standards ausschlaggebender Garant für die erfolgreiche Digitalisierung sei und es deshalb eine Koordinierungsstelle zur Setzung von Standards brauche. „Es ist kritisch diese Kompetenzen einem Akteur zu geben, der seine Kompetenzen in der ambulanten Versorgung hat“, so Verbandsgeschäftsführer Sebastian Zilch. Die KBV erhielt nur ein einziges Mal die kurze Chance, um zum Thema Stellung zu beziehen. Ihr Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen betonte, dass die KBV gar nicht beabsichtige, die Arbeit allein zu machen, sondern die Expertise von Wissenschaft und Co. einbeziehen wolle. Wenn man die schnelle Einführung der elektronischen Patientenakte wolle, dann dürfe man nicht erst Koordinierungsstellen einrichten, so Gassen. Das habe die Vergangenheit gezeigt. Ob die KBV dieses alleinige Aushängeschild weiterhin tragen darf? Der Gesetzgeber wird sich jede Menge Gedanken darüber machen müssen, wie er mit dieser elementaren Regelung für das deutsche Gesundheitswesen nicht alle anderen Sektoren und Teile der Selbstverwaltung gegen sich aufbringt.

Apropos elektronische Patientenakte. Auf die Frage des Abgeordneten Michael Hennrich (CDU) nach dem Forschungsnutzen der elektronischen Patientenakte antwortete der Einzelsachverständige Ralf Heyder: „In anderen Ländern werden elektronische Akten bereits dafür genutzt. In Österreich wurde die ELGA ähnlich der deutschen Überlegung konzipiert. Der Fehler wird gerade korrigiert und die ELGA dafür geöffnet.“ Die ePA lasse sich ohne Abstriche beim Datenschutz für die Forschung nutzen. Man müsse nur wollen. „Wenn wir ein lernendes Gesundheitssystem in Deutschland wollen, dann wäre die ePA in der Forschung die richtige Stelle“, so Heyder weiter. Die gematik müsse dafür aber die Anschlussfähigkeit der ePA an die Forschung berücksichtigen. Das sei bisher nicht geschehen.

Wenn es bei der zweiten Anhörung eine Überraschung gab, dann war es diese: Gefühlt ein Drittel aller Fragen stellten die Abgeordneten zum Themenbereich Hebammen. Dass verfügbare Hebammen nur schwer zu finden sind, ist bekannt. Die Profession hat zudem ein gehöriges Nachwuchsproblem. Deshalb sollen verfügbare Hebammen leichter zu finden werden. Die neue Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Prof. Dr. Claudia Schmidtke, befragte dazu den GKV-Spitzenverband. Pfeiffer meinte, dass im Internet sehr viel weniger Hebammen zu finden seien als in der Vertragspartnerliste des GKV-SV. Eine Veröffentlichung der Hebammen in Deutschland sei dahingehend sinnvoll. Separate Meldungen aller Hebammen an eine dafür einzurichtende Stelle brauche es nicht, weil die Vertragspartnerliste schließlich vollständig sei und nur um die Kontaktdaten ergänzt werden müsse. Unterversorgung werde nicht alleine dadurch geregelt, dass die Daten offengelegt werden, argumentierte der Deutsche Hebammenverband. „Die Vertragspartnerliste zu veröffentlichen reicht nicht. Es braucht eine Vermittlungsstelle, die über Kapazitäten informiert ist. In Zeiten der Digitalisierung ist das machbar", so Ursula Jahn-Zöhrens für den Verband. Es komme bei Terminservice-Geschichten aber immer darauf an, wie diszipliniert die freien Kapazitäten gemeldet würden, gab Pfeiffer zu bedenken. „Zudem sind 3.000 Hebammen laut unseren Daten gar nicht Mitglied im Deutschen Hebammenverband."

Herzbericht: Zu wenig Prävention

Immer mehr Menschen müssen wegen Herzrhythmusstörungen stationär behandelt werden. Vor allem die Zahl der Älteren, die unters Messer kommen, steigt weiter an.

Herz-Kreislauferkrankungen bleiben auch 2018 Todesursache Nummer eins. Vor allem die Menschen, die eher ländlich wohnen, haben dem neuen Herzbericht zufolge eine höhere Wahrscheinlichkeit an einer Herzkreislauferkrankung zu sterben: in Sachsen-Anhalt kommen 295 Todesfälle auf 100.000 Einwohner, in Hamburg sind es nur 184. Insgesamt zeichne sich aber ein positiver Trend ab. Trotz demografischen Wandels sterben insgesamt nicht mehr Menschen an einer solchen Erkrankung, erklärt Prof. Dietrich Andresen, Vorsitzender der Deutschen Herzstiftung: „Auffällig ist, dass die Sterblichkeitsrate an Herzkrankheiten in der Summe in allen Bundesländern insgesamt spürbar gesunken oder zumindest unverändert geblieben ist. Neben demographischen Aspekten könnte das an Verbesserungen in der medizinischen Versorgung, aber auch an einer verbesserten Vorsorge liegen.“

Andererseits gibt es immer mehr Krankenhausbehandlungen. Einer der häufigsten Anlässe hierfür sind Herzrhythmusstörungen. Im Vergleich zum Vorjahr gab es 2018 einen Anstieg der stationären Aufnahmen um 8400 Fälle. Ebenfalls gestiegen ist die Zahl der Herzoperationen bei betagten und hochbetagten Patienten. Gab es im Jahr 2000 rund 4225 Herz-Operationen bei Menschen über 80, waren es nach den jüngsten Zahlen für 2017 bereits 16242 Eingriffe. Insgesamt müsse deutlich mehr in Sachen Prävention getan werden, so der Experte. Regelmäßige Bewegung, gesunde Ernährung und Rauchverzicht gelten dabei als die besten Vorbeugemaßnahmen.

Fernbehandlung – wer darf was?

In einem gemeinsamen Positionspapier drängen die Kassenärztlichen Vereinigungen auf Klarheit in Sachen Fernbehandlung.

Immer mehr Start-ups drängen auf den Markt, um im Gesundheitswesen neue, online-basierte Dienstleistungen anzubieten. Patienten werden in diesen Geschäftsmodellen schnell zum Kunden. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) mehrerer Länder haben nun ein gemeinsames Positionspapier zur Fernbehandlung herausgegeben, das die künftige Richtung vorgeben soll.

Darin heißt es: „Wir sehen den Bereich der Fernbehandlung als elementaren Teil des Sicherstellungsauftrages der KVen. Einzelne KVen sind bereits in den Markt eingestiegen, andere warten noch ab. Angebote zur Fernbehandlung machen allerdings nicht an den Landesgrenzen der jeweiligen KV halt, wie die bundesweit angebotenen Projekte zur Krankschreibung per WhatsApp oder zur Online-Psychotherapie zeigen. Um Fehlentwicklungen zu vermeiden, muss die aktuelle Ausgestaltung des Fernbehandlungsverbots noch einmal in Bezug auf die besondere Bedeutung des persönlichen Arzt-Patienten-Kontaktes kritisch diskutiert werden. Dabei müssen auch klare Einschränkungen und Begrenzungen definiert werden, um nicht ausschließlich Konzerninteressen in den Mittelpunkt zu stellen.“

Auch in Sachen Datenschutz gibt es eine Einigung, die wettbewerbsfähig machen soll: „Als Körperschaften öffentlichen Rechts werden wir eigene, höchsten Ansprüchen des Datenschutzes und der Datensicherheit genügende sowie den Schutz eines vertrauensvollen Arzt-Patientenverhältnisses fördernde Angebote aufbauen. Diese werden wir über unsere Mitglieder, die niedergelassenen Hausärzte, Fachärzte und Psychotherapeuten, den Patienten vorstellen. Basis dafür ist eine KV-übergreifende Zusammenarbeit, die es dem KV-System ermöglicht, den privatwirtschaftlich organisierten und rein an Kapitalinteressen orientierten Unternehmen mit eigenen Angeboten und Lösungen entgegen zu treten.“

Morbi-RSA: Das Vollmodell scheint unausweichlich

Spahn will es, die SPD will es und die AOK auch: das Vollmodell beim morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) scheint unausweichlich. Die Ersatzkassen müssen sich daran gewöhnen.

Seit 1994 gibt es einen Risikostrukturausgleich unter den Krankenkassen. Zehn Jahre nach der letzten Reform wird nun ein neues Modell gesucht, das den aktuellen Anforderungen gerecht werden kann. Der Wissenschaftliche Beirat hat das Vollmodell empfohlen, wonach die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds nicht mehr nur anhand einiger weniger und sehr teurer Krankheiten erfolgen, sondern aller.

Die Ersatzkassen haben sich lange dagegen gewehrt, das Vollmodell als die neue Alternative zu akzeptieren. Die Sorge: Dadurch würde die Manipulationsanfälligkeit nur noch weiter erhöht werden. Die Kodier-Beeinflussung werde von bisher 80 Krankheiten auf das gesamte Krankheitsspektrum ausgeweitet. Der Verband der Ersatzkassen (vdek) hätte sich eine Beschränkung der Krankheitsauswahl auf schwerwiegende Krankheiten gewünscht und stärkere Anreize zur Prävention. Doch nun scheint der vdek dem Vollmodell eine Chance zu geben – weil es unausweichlich scheint.
Sowohl der Wissenschaftliche Beirat als auch Spahn und die SPD sehen darin die beste Lösung. Ulrike Elsner, hauptamtliche Vorsitzende des vdek, erklärte bei der Jahrespressekonferenz: „Wir halten die Einführung eines Vollmodells nur dann für zielführend, wenn erstens ausgeschlossen werden kann, dass durch die Beeinflussung von Diagnosen die Zuweisungen aus dem RSA optimiert werden, zweitens die Erweiterung durch mehr Krankheiten genauso differenziert erfolgt wie heute und drittens Über- und Unterdeckungen in den einzelnen Morbiditätsgruppen angeglichen werden.“

Digitalisierung bei Diabetes: Gaspedal durchtreten!

Die Digitalisierung wird die Diabetes-Therapie verändern – und das ist mehr als eine Floskel.

Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) ist überzeugt, dass der Einsatz digitaler Möglichkeiten zu mehr Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität führt. Künftig sollen in einer leitlinienbasierten überprüfbaren Patientenversorgung Patienten und Ärzte alle relevanten Informationen, damit ist auch verfügbare Literatur gemeint, zur Verfügung haben. Die Fachgesellschaft spricht von einem „einheitlich lesbaren und verwendbaren Datenpool mit unterschiedlichen Zugriffs- und Verwendungsrechten. Die Versorgung unter Einbindung der Digitalisierung soll dann bitte noch transsektoral gedacht werden, um den individuellen Expertisen der Behandler gerecht zu werden.
Medizinische Fachgesellschaften würden nicht überlegen, welche technischen Lösungen es brauche, äußerte kürzlich der DDG-Präsident Prof. Dr. Dirk Müller-Wieland. „Wir stellen uns die Fragen: Wie stellen wir uns optimaler Weise die Versorgung vor? Wie kann uns die Technik dabei unterstützen?“, so Müller-Wieland. Klar ist, dass sich die Diabetes-Experten in Deutschland für eine Einführung der elektronischen Patientenakten, die spätestens ab Anfang 2021 für alle gesetzlich Versicherten in Deutschland verfügbar sein soll, aussprechen. „Wir fordern die hundertprozentige Interoperabilität aller Akten“, so Müller-Wieland unlängst in Berlin. Und potentielle Nutzer gibt es viele: Rund 7,5 Millionen Menschen sind in Deutschland am Diabetes mellitus erkrankt. Bei gleichbleibender Entwicklung könnten es bis zum Jahr 2040 zusätzliche 3,6 Millionen Menschen sein. Durch die „elektronische Diabetesakte“, davon sprach die DDG bei einer Veranstaltung in Berlin, würden Informationen im benötigten Moment zur Verfügung stehen und müssten nicht erst kompliziert gesucht werden. Dabei sei der Begriff „Akte“ keine gute Wahl, so Wieland, denn es handele sich um kein geschlossenes Konstrukt, sondern eine stetig zu ergänzende Sammlung wichtiger Daten. Akten könnten künftig durch die Überbrückung der bisher strikt getrennten Versorgungsbereiche und medizinischen Fach- und Berufsgruppen unnötige Vielfachanamnesen vermeiden. Ärztliche Entscheidungen könnten durch eine bessere Informationsbasis nachvollziehbarer werden - für Kollegen und Patienten. Das alles gelingt aber nur, wenn die Interessensvertreter sich auf gemeinsame Ziele einigen, eigene Interessen hintenanstellen und den Nutzen der Anwendungen immer in den Mittelpunkt stellen. Zudem wird die Zahl der Diabetologen wohl kaum im selben Maße wie die Fallzahl steigen. Bei bereits existierenden Schwierigkeiten der Nachbesetzung im ländlichen Raum werden elektronische Patientenakten und Möglichkeiten der Fernbehandlung ein wichtiger Weg zur Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung sein.

Doch mit der Digitalisierung werden auch deutlich mehr Daten erhoben, die sich sinnvoll verarbeiten lassen. Aus diesen können, wenn an der richtigen Stelle gebündelt, Maßnahmen zur Verbesserung der Prävention, des Krankheitsverlaufs und der Versorgung entwickelt werden. Die richtige Stelle ist laut DDG das Nationale Diabetesregister, dessen rasche Umsetzung ein wichtiges Anliegen der Diabetes-Verbände, Hilfsorganisationen und Fachgesellschaft ist. „Das nationale Diabetes-Register wird uns allen helfen: Wir erhalten klare, flächendeckende Daten zur Versorgungsqualität und zu Krankheitsverläufen. Je größer die Datensätze, desto besser die Mustererkennung“, so Müller-Wieland. Durch Analysen von Datenmustern (Big Data) könnten unter anderem neue Zusammenhänge, Subgruppen, klinische Verläufe und Therapieansätze erkannt werden. Prädiktive Modelle würden dabei helfen, Risiko-Patienten frühzeitig und präzise zu erkennen und diese Patienten in für sie geeignete Programme zu lotsen. Zudem soll das Register bei der Auswertung der Effektivität bestimmter Medikamente helfen und zeigen, welche Wirkungen nicht medikamentöse Maßnahmen wie Patientenschulungen und die Stoffwechselselbstkontrolle haben.

Ein neues System schiebt Wache

Mit securPharm ist am 9. Februar das neue, europäische Sicherheitssystem für Arzneimittel an den Start gegangen.

In öffentlichen Apotheken in Deutschland werden pro Jahr rund 750 Millionen verschreibungspflichtige Arzneimittel abgegeben. Dass darunter im Sinne der Patientensicherheit keine Fälschungen sein dürfen, versteht sich von selbst. Mit securPharm werden die Schutzmaßnahmen nachgeschärft. Mit der neuen Regelung werden die Anforderungen der EU-Fälschungsrichtlinie 2011/62/EU und der Delegierten Verordnung über Sicherheitsmerkmale (EU) 2016/161 umgesetzt. Alle verschreibungspflichtigen Arzneimittel (Rx), die ab dem 9. Februar 2019 in der EU auf den Markt kommen, müssen ein Sicherheitsmerkmal (ein individueller, einmaliger Data Matrix Code) und einen Erstöffnungsschutz tragen. Letzterer kann in Form von Klebesiegel, Heißkleber oder Perforation durch das Pharmaunternehmen umgesetzt werden. Die Arzneimittelhersteller überführen den Packungscode in das System. In der Apotheke muss die Packung dann ausgelesen und die Nummer mit den Daten im Zentralrechner abgeglichen werden. Werden die Daten bestätigt, kann die Arzneimittelpackung ausgebucht und an den Kunden abgegeben werden. „Ein Verharren mit dem Status quo war keine Option. Fälscher drängten international zunehmend in legale Lieferketten. Dafür braucht es diesen Schutzschild“, so Dr. Norbert Gerbsch, Integrationsmanager von securPharm in Deutschland. Zunächst gehen in 26 EU-Mitgliedstaaten sowie in Norwegen, Island und Liechtenstein die Sicherheitssysteme in Betrieb. Bis 2025 kommen dann auch die Systeme Italiens und Griechenlands dazu. An das System sind hierzulande unter anderem 19.500 öffentliche Apotheken, 400 Krankenhausapotheken, 350 pharmazeutische Unternehmen und die Großhändler angeschlossen. Die EU hatte den gesamten Investitionsaufwand für die Errichtung von securPharm auf stattliche zehn bis zwölf Milliarden Euro geschätzt. Für Deutschland müssen fast 60.000 unterschiedliche Produkte auf die neuen Sicherheitsmerkmale durch die Arzneimittelhersteller umgestellt werden. Dabei sind Arzneimittel zur Selbstmedikation (OTC) nicht Bestandteil von securPharm. Die Arzneimittel, die sich bereits im Handel befinden und noch kein Sicherheitsmerkmal tragen, dürfen von den Apotheken bis zum Ablauf des Verfalldatums abgegeben werden. Im Hintergrund laufen auf EU-Ebene bereits Gespräche zur Weiterentwicklung des Systems. Dabei sollen unter anderem amtliche Reportings diskutiert werden.

An den ersten Tagen im Livebetrieb meldeten Apotheker noch Verbindungsprobleme der Netzgesellschaft Deutscher Apotheker (NGDA). Diese korrigierte, dass die Verbindung des Apothekenservers mit dem Hersteller-Datenbanksystem eingeschränkt sei und es deshalb zu unerwünschten Ausfällen käme. Die securPharm-Verantwortlichen hatten vorab von einem „Warmlaufen des Systems“ gesprochen. Die Arzneimittelversorgung soll durch kleine Start-Stolpersteine aber nicht gefährdet sein.

Zahl der Apotheken weiter rückläufig

Deutschland gehen noch nicht die Apotheken aus. Der Trend, dass es immer weniger Apothekeninhaber in Deutschland gibt, hält jedoch an.

Nie hatte Deutschland mehr Apotheken als im Jahr 2008. Zehn Jahre später hat sich die Anzahl der Apotheken um 2.200, und somit gut zehn Prozent, reduziert. Denn Hochrechnungen der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), alle Zahlen zum Vorjahr 2018 liegen noch nicht vor, gehen davon aus, dass es zum Jahresende 2018 in Deutschland 19.423 öffentliche Apotheken gab. Ein Minus von 325 Filialen (97 Neueröffnung gegenüber 422 Schließungen) gegenüber 2017 ist der bislang höchste in einem Kalenderjahr verzeichnete Rückgang. Seit Mitte der achtziger Jahre habe es nicht weniger Apotheken gegeben, so die ABDA. Auch die Zahl der Apothekeninhaber ging von 15.236 auf 14.882 zurück. Werden die 4.541 Filialen ergänzt, dann erhält man die Gesamtzahl von 19.423 Apotheken. Durch das in Deutschland geltende Fremd- und Mehrbesitzverbot ist es Apothekern erlaubt, neben der Hauptapotheke bis zu drei Filialen in enger räumlicher Nähe zu betreiben. Ferner gibt es deutliche regionale Unterschiede in der Apothekenentwicklung. Starke Rückgänge mussten vor allem Baden Württemberg (58 Schließungen), Westfalen-Lippe (49) und Berlin (20) hinnehmen. Die Stadtstaaten Hamburg (- 4 Apotheken) und Bremen (unverändert) zeigten hingegen ein anderes Bild. Eine Erklärung dafür hat die ABDA bisher nicht geliefert. Die Apothekendichte liegt damit in Deutschland nun bei 23 Apotheken pro 100.000 Einwohnern (vorher 24) und damit unter dem EU-Durchschnitt von 31 Apotheken auf 100.000 Menschen. ABDA-Präsident Friedemann Schmidt fordert eine Stabilisierung der „ordnungspolitischen Rahmenbedingungen“ und „eine bessere fachliche und ökonomische Perspektive“ für die Apothekeninhaber. Aktuell arbeitet das Bundesministerium für Gesundheit an einem Entwurf zur Reform der Apothekenvergütung. Spahn und ABDA hatten zuvor jeweils eigene Eckpunktepapiere vorgelegt. Gerade beim Rx-Versandverbot konnten sie sich noch nicht annähern.

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