Berlin-Chemie Newsletter vom 13. Juni 2017

Berlin-Chemie Newsletter vom 13. Juni 2017

  • Bundestag beschließt versteckte Neuerungen für eHealth
  • TI-Rollout: gematik jubelt, Ärzte (ver)zweifeln
  • Hausärzte haben eigene Digital-Lösung im Angebot
  • Politik will Patientenrechte gegenüber dem Arzt stärken
  • DDG will Beauftragten für Adipositas, Diabetes und Ernährung
  • Ärztetag 2017: Lob und Kritik an der deutschen Gesundheitsversorgung
  • Entlassmanagement: Das ändert sich ab Oktober
  • Weiterentwicklung des DRG-Systems auf Klinik-Kongress gefordert
  • Aktionstag gegen den Schmerz
  • Besser als ein Verbot: Versandapotheken in neue Modelle einbinden?

Bundestag beschließt versteckte Neuerungen für eHealth

Weitreichend ohne Medienecho ist vom Bundestag am ersten des Monats (01.06.) eine deutliche Veränderung für Anbieter von Praxisverwaltungs- und Krankenhausinformationssystemen in der sowohl vertrags- als auch zahnärztlichen Versorgung sowie der Versorgung im Krankenhaus beschlossen worden. Ist das der lang ersehnte Umschwung zur Digitalisierung des deutschen Gesundheitssystems?

De facto könnte sich jetzt demzufolge im Anwendungsbereich von Patientenakten, digitalen Lösungen, Datenanalysen und ebenso im Wettbewerb der Softwareanbieter einiges verändern. Der Paragraph (§) 291d SGB V wurde im Rahmen des „Gesetzes zur Modernisierung der epidemiologischen Überwachung übertragbarer Krankheiten“ reformiert. Er ist für die Versorgungsregelung gesetzlich Versicherter bei der „Integration offener Schnittstellen in informationstechnische Systeme“ verantwortlich. Für den zuerst genannten Bereich sind also nach Bestätigung der für den jeweiligen Versorgungsbereich zuständigen Organisation, mit einer Frist von zwei Jahren, „offene und standardisierte Schnittstellen zur systemneutralen Archivierung von Patientendaten sowie zur Übertragung von Patientendaten bei einem Systemwechsel zu integrieren“. Aus Sicht des Vorstandsvorsitzenden des Verband digitale Gesundheit (VdigG), Dr. Philipp M. Schäfer, sind die Neuerungen in Bezug auf die Wettbewerbsstärkung zu begrüßen: „Daten werden damit mobil und die Patienten und Anwender haben die Möglichkeit, Anbieter zu wechseln und mit ihren Daten umzuziehen.“

TI-Rollout: gematik jubelt, Ärzte (ver)zweifeln

Die Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH, kurz gematik, musste als gesundheitspolitischer Sündenbock aller Verzögerungen jede Menge Prügel einstecken. Jetzt jubelt sie, dass ihre Gesellschafter dem Online-Produktivbetrieb die Freigabe erteilt haben. Die Arbeit kann damit aber noch lange nicht beendet sein, denn Hürden säumen den angeblich geebneten Weg. Die flächendeckende, sinnvolle Nutzung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) ist nicht so nah, wie den Akteuren vorgegaukelt wird.

Die Freigabe sei das „Signal für die Industrie, ihre Geräte für das europaweit größte Telematikprojekt auf Grundlage der bereitgestellten Kriterien zu finalisieren“, meint die gematik. Nun erwarte die gematik, dass die Industrie ihre Produkte zur Zulassung einreiche, erklärte Alexander Beyer, Geschäftsführer der gematik, jüngst. Bis zum 30. Juni 2018 sollen niedergelassene Ärzte und Kliniken an die neue Telematikinfrastruktur (TI) angeschlossen sein – insgesamt sind deutschlandweit rund 150.000 Arztpraxen, 40.000 Zahnarztpraxen und 2.000 Krankenhäuser betroffen. Vom Konnektor als zentralem Modul gibt es derzeit wohl nur ein einsatzfähiges Modell. Nur soll dieses nicht wie geplant bis zum 1. Juli zur Verfügung stehen, weil die notwendige Zertifizierung auf sich warten lasse. Eine Serienauslieferung erst ab November gilt als denkbar. Weitere Konnektoren werden wohl nicht vor dem Frühjahr 2018 verfügbar sein, schätzt die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen (KVN). „Der vorgegebene Zeitplan fängt schon jetzt an zu kippen. […] Das wohl komplexeste Projekt der Gesundheitsversorgung wird in unrealistische Zeitvorgaben gezwängt, ohne dass die notwendigen Voraussetzungen dafür geschaffen wurden“, kritisierte der stellvertretende KVN-Vorsitzende, Dr. Jörg Berling. Dass die Ärzte sich darüber aufregen ist verständlich, schließlich drohen ihnen Honorarkürzungen, sollte die Anbindung bis Mitte nächsten Jahres nicht abgeschlossen sein. Nach einigen Querelen haben sich Kassenärztliche Bundesvereinigung und GKV-Spitzenverband vor dem Bundesschiedsgericht über Erstattungen für Anschaffung und Installation der Konnektoren geeinigt. Für die KVen herrsche deshalb noch lange nicht Klarheit. „Über manche Details wird immer noch mit den Krankenkassen gestritten. Wie sollen wir die Auszahlung der Erstattungsbeträge für die Arztpraxen vorbereiten, wenn es darüber noch gar keine detaillierte Einigung gibt?“, fragt Berling.

Die Einführung der Telematikinfrastruktur wird mit der Umsetzung des Versichertenstammdatenmanagements (VSDM) inklusive eines sicheren Internetservices (SIS) sowie bereits bestehender Onlineanwendungen beginnen. Beim VSDM werden die Versichertenstammdaten online überprüft und – wenn nötig – aktualisiert. Dies hat in der jüngeren Vergangenheit auch schon in einigen Pilotprojekten stattgefunden. Im zweiten Schritt kommen die Qualifizierte Elektronische Signatur, mit der Ärzte Dokumente rechtssicher unterzeichnen können, und die gesicherte elektronische Kommunikation zwischen den Leistungserbringern hinzu.

Am Ende werden sich die Verantwortlichen fragen müssen, ob die sture Umsetzung ihres 15 Jahre alten eGK-Konzepts nicht doch ein teurer Fehler war. Damals wurde noch unter der Annahme geplant, dass Patienten nicht im System mitspielen würden. Heute wissen wir: Die Gesundheitsdaten lassen sich über kurz oder lang nicht mehr vor den Patienten verbergen. Die eGK mit ihren aufwändigen Konnektoren ist technisch nicht modern. Kontaktlose Schnittstellen sucht man vergebens, ohne ein Kartenlesegerät lässt sich die Karte nicht verwenden und um die Karte wirklich mit einem Smartphone oder Tablet koppeln zu können, bräuchte es ein Lesegerät mit Bluetooth oder gar USB-Schnittstelle. Die IT-Sicherheit mag gewährleistet sein; smart ist diese Lösung aber sicher nicht.

Hausärzte haben eigene Digital-Lösung im Angebot

Der Deutsche Hausärzteverband ist überzeugt, dass er mit Hilfe eines Softwareunternehmens eine digitale Lösung abseits der Telematik-Infrastruktur (TI) der gematik geschaffen hat. Was kann das Programm und was ist es nicht?

Ulrich Weigeldt äußerte sich kürzlich in Berlin nicht zum ersten Mal kritisch gegenüber der gematik („Festlegen der Standards über Jahre versäumt“). „Ich habe gehört, dass die ersten Adressen auf den elektronischen Gesundheitskarten inzwischen korrigiert wurden. Respekt – nach zehn bis fünfzehn Jahren ist das ein großer Schritt“, kritisierte der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes dieses Mal. Weigeldt findet vieles, das mit der Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens zu tun hat, eher schlecht als recht umgesetzt. Die Eckpunkte der TI müssten endlich im nächsten Koalitionsvertrag festgezurrt werden; die Videosprechstunde sei ein „mit vielen Regelungen und Vorgaben verbundener Rohrkrepierer“ und „Digitalisierung à la Selbstverwaltung“. Nun haben die Hausärzte eine eigene Anwendung vorgestellt, welche die Leistungserfassung und Abrechnung der Vollversorgungverträge zur Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) schneller und leichter gestalten soll. Geniocare, so heißt die Anwendung, die über den Internet-Browser aufgerufen werden kann, ist kein vollwertiges Praxisverwaltungssystem, sondern dient nur der Abwicklung der HZV; es muss also parallel zum PVS verwendet werden. Die Abrechnung mit den Kassenärztlichen Vereinigungen muss nach wie vor über die vorhandene Praxissoftware abgewickelt werden. Im Verlauf des dritten Quartals 2017 können Hausärzte dieses Programm zu einem Fixpreis von 49 Euro pro Monat beziehen. Entwickelt hat das Programm, das eine Alternative zu den integrierten Modulen der Hausärztlichen Vertragsgemeinschaft (HÄVG) ist, die egopulse Deutschland GmbH. „Wir arbeiten uns wund in der Verwaltung unserer Patienten“, erklärte Jens Wagenknecht, Mitglied des Bundesvorstands des Deutschen Hausärzteverbandes. Das Programm mache nur das, „was wir brauchen und nicht das, was andere meinen, dass wir es brauchen“. Die Anwendung soll den Vorgaben der ab Frühjahr 2018 geltenden Datenschutz-Grundverordnung der Europäischen Union entsprechen.

Und klar, weil es momentan, ob gewünscht oder nicht, im „Trend“ ist, erfolgt auch bei Geniocare die Anmeldung über eine Zwei-Faktor-Authentifizierung. Die Patientendaten werden in einem Rechenzentrum gespeichert. Der ärztliche Nachwuchs sollte keine Fremdsprache mehr zur Abrechnung lernen müssen, ist sich der Bundesvorstand der Hausärzte einig. Der Überweisungsschein habe zehn Prozent Platz für medizinische Informationen und 90 Prozent Platz für Administration. „Ärzte sollten nicht Facharzt für Schriftverkehr werden“, so Weigeldt. Praxispersonal und Ärzte sollen mit geniocare schlanker und direkter durch die Verwaltungsprozesse kommen. Auch wenn die Hausärzte damit die Vereinfachung der HZV-Abwicklung anstreben, lässt sich ein gewisses Maß an Doppeldokumentation nicht vermeiden. Eine Diagnose muss schließlich auch in der Patientenkartei des PVS hinterlegt werden. Die Hausärzte müssen sich nun die Frage gefallen lassen, warum es eine weitere, zusätzliche Plattform braucht und, ob die simplere Verwaltung der HZV-Verträge nicht auch als Modul im PVS möglich gewesen wäre. So dürfen Ärzte, sollten sie das Programm nutzen wollen, fast 600 Euro jährlich für eine weitere Softwareinsel ausgeben.

Politik will Patientenrechte gegenüber dem Arzt stärken

In der Politik ist man sich eigentlich selten einig. Dass Patienten es schwer haben nach Behandlungsfehlern Gerechtigkeit zu erfahren, meinen aber gleich mehrere gesundheitspolitische Sprecherinnen und Sprecher der Bundestagsfraktionen. Vor allem das Konzept „Entschädigungsfonds“ wurde unlängst in Berlin bei einer Diskussionsrunde ausführlich diskutiert. Die Anzahl der bestätigten Behandlungsfehler lag 2016 jedoch in keinem auffälligen Bereich, wie die Jahresstatistik des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes und der Krankenkassen (MDS) zeigt.

Mehr als 15.000 fachärztliche Gutachten zu vermuteten Behandlungsfehlern wurden 2016 erstellt. In knapp jedem vierten Fall bestätigten die Fachärzte des MDK den Verdacht der Patienten. Aus der Statistik geht hervor, dass zwei Drittel der Vorwürfe Behandlungen in der stationären Versorgung betrafen und ein Drittel sich wiederum auf Behandlungen durch niedergelassene Ärzte bezog. Etwas mehr als die Hälfte der Vorwürfe (7.765) standen in direktem Zusammenhang mit der Behandlung im Operationssaal. Gut die Hälfte (51 Prozent) aller bestätigten Fehler wurde auf eine nicht (40 Prozent) oder zu spät (11 Prozent) durchgeführte medizinische Maßnahme zurückgeführt. In der anderen Hälfte bestand der Fehler in der Regel darin, dass eine notwendige Behandlung nicht korrekt durchgeführt wurde (39 Prozent). Fehler kamen auch zustande, weil eine falsche Maßnahme vorgenommen wurde (10 %), bei der von vornherein mehr Schaden als Nutzen zu erwarten gewesen wäre. „Häufungen spiegeln wider, dass Patienten in manchen Bereichen eher selbst erkennen können, wenn eine Behandlung fehlerhaft verlaufen sein könnte und in anderen nicht“, so Prof. Dr. Astrid Zobel, Leitende Ärztin des MDK Bayern.

Behandlungsfehlerprozesse dauern in der Regel extrem lang. Die medizinische Sachlage muss durch Sachverständige, meistens Chef- oder Oberärzte, aufgearbeitet werden. Weil diese häufig aber eben auch noch ihren eigentlichen Job haben, kann sich dies viele Monate hinziehen. Nur bei wenigen Behandlungsfehlern braucht es nur einen Sachverständigen einer Fachdisziplin. Und weil die beschuldigte Seite so ein Gutachten naturgemäß erst einmal verteufeln will, bringt sie eine dicke Liste an Beanstandungen zu Tisch.

Die Patienten würden bei den Begrifflichkeiten der juristischen Sachlage und Verfahrensstrukturen nicht durchblicken, erklärte in Berlin Helga Kühn-Mengel, Beauftragte der SPD-Bundestagsfraktion für die Belange von Patienten und Pflegebeauftragten und erste Patientenbeauftragte der Bundesregierung im Jahr 2004. Die Unterstützung der Krankenkassen, die dazu gesetzlich verpflichtet sind, falle darüber hinaus auch sehr unterschiedlich aus. Gernot Kiefer, Vorstand des GKV-Spitzenverbandes, bestätigte, dass es vor allem noch bei den Datenflüssen und der Beschaffung der Behandlungsunterlagen Probleme gebe.

Problematisch sind die Fälle, in denen vieles auf einen Behandlungsfehler hindeutet, dieser aber nicht endgültig bewiesen werden kann. Der Leidtragende ist dann der Patient. Weil Menschen älter und multi-morbid werden, kommt es zu immer mehr solcher Fälle. Mit „nur“ 80 Millionen Euro pro Jahr könnte das Gerechtigkeitsgefühl bei den Patienten wiederhergestellt werden, so deutete Maria Klein-Schmeink, Gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, an. Sie bezog sich dabei auf einen Entschädigungsfonds nach österreichischem Vorbild. Bei unseren südlichen Nachbarn verwaltet die Patientenanwaltschaft den Fonds, betrachtet mit ihrem Gremium und hinzugezogenen Gutachtern Fälle und kann über den Entschädigungsanspruch entscheiden. Da die Entschädigungssumme gedeckelt ist, sind keine „Lebensrenten“ zu erwarten. In Österreich werden Patienten für verlorene unklare Behandlungsprozesse mit durchschnittlich 7000 Euro getröstet. Reine Entschädigungskosten von rund 80 Millionen Euro haben die Grünen nach österreichischem Model für Deutschland hochgerechnet. Klar ist, dass die Kassen nicht begeistert sind, scheint eine Systemumlage als Finanzierungsmodell auf der Hand zu liegen. Klein-Schmeink hält zwar auch eine Finanzierung über „steuerfinanzierte Stiftungen“ denkbar, aber deren Realisierung für wesentlich schwieriger.

Um Verfahren zu beschleunigen, schlug Reiner Meier, zuständig unter anderem für Patientenrechte in der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion, eine unabhängige Gutachterstelle auf Bundes- oder Landesebene vor, welche mit der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD) verbunden werden könnte. Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann, hatte sich übrigens in der Vergangenheit gegen einen Entschädigungsfonds ausgesprochen.

DDG will Beauftragten für Adipositas, Diabetes und Ernährung

Auf der Pressekonferenz im Vorfeld des Diabetes Kongresses 2017 ist auf eine Veränderung des Ernährungs- und Bewegungsverhaltens gedrängt worden. Zudem wurde vonseiten der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) die Forderung laut, den Nationalen Diabetesplan final zu beschließen und einen Beauftragten für Adipositas, Diabetes und Ernährung zu ernennen, um „Public Health“ wieder auf die alltägliche Politik-Agenda zu setzen.

Bei der Diabetes-Erkrankung kann schon von einer „Epidemie“ gesprochen werden. Denn allein in Deutschland steigt die Zahl der Erkrankten - etwa 6,7 Millionen sind betroffen. Dahinter steckt ein komplexes Zusammenspiel von Genen, Lebensstil und Umweltfaktoren. So werde das Essen immer weniger selbst zubereitet und Fastfood sei überall erhältlich, was zu einem übermäßigen Kalorienkonsum führe, erklärt Dr. Dietrich Garlichs als DDG-Geschäftsführer. Nahrungsüberfluss und zu wenig Bewegung seien neben der erblich bedingten Veranlagung dafür verantwortlich, dass immer mehr Menschen übergewichtig und adipös – und damit zu einem potenziellen Typ-2-Diabetes-Patienten würden.

Circa ein Drittel aller stationären Patienten, die wegen anderer Diagnosen in Krankenhäusern aufgenommen und behandelt werden, habe einen Diabetes. „Das sind circa 2,1 Millionen Patienten pro Jahr“, weiß DDG-Präsident Prof. Dr. Baptist Gallwitz. Er betrachtet die Versorgungssituation mit Sorge, denn es zeichne sich aufgrund schwindender Zahlen an klinischen Lehrstühlen und Ausbildungsmöglichkeiten in Krankenhäusern ein gravierendes Nachwuchsproblem ab.

Ärztetag 2017: Lob und Kritik an der deutschen Gesundheitsversorgung

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe trat auf dem diesjährigen Ärztetag, im Rückblick einer sich dem Ende nähernden Legislatur, entschlossen auf: Der Erhalt des dualen Systems aus gesetzlicher und privater Krankenversicherung habe sich bewährt und schaffe Gerechtigkeit. Beipflichtend gab sich der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery. Eine Bürgerversicherung sei aus seiner Sicht hingegen „der Turbolader einer echten Zwei-Klassen-Medizin“.

Ein weiteres Thema: Die Patientenzahlen in den Notfallambulanzen, die sich in den vergangenen zehn Jahren auf rund 25 Millionen verdoppelt haben. Hier seien sektorenübergreifende Strukturen vonnöten, um das Personal zu entlasten und Gewalt gegenüber Ärzten und Pflegekräften vorzubeugen. Er bot eine „Diskussion am runden Tisch“ zwischen Ärzten aus Klinik und Praxis, Krankenhausgesellschaften und Kostenträgern unter Moderation der Bundesärztekammer an. Gewarnt wurde auf der dreitägigen Veranstaltung vor „blindem Vertrauen in Gesundheits-Apps“, denn nur ein geringer Teil der im Handel erhältlichen digitalen Helfer könne als seriös eingestuft werden. Technischer Wandel im Gesundheitswesen brauche klare Spielregeln und einen Schutz vor Datenmissbrauch, angesichts der vermeintlich steigenden Zahl an Verfahren der sogenannten Telemedizin (Stichwort: Fernbehandlungen und Online- oder Telefon-Diagnosen). Bund und Länder müssten die Zahl der Medizinstudium-Plätze sofort um mindestens zehn Prozent erhöhen und ausreichend finanzieren, forderte die Ärzteschaft. Gesundheitsthemen sollten zudem bereits in die Ausbildung von Lehrern und Erziehern sowie in die schulischen Lehrpläne aufgenommen werden, hieß es. Alles in allem also wenig Neues, sondern eher der Nachdruck altbekannter Forderungen.

Entlassmanagement: Das ändert sich ab Oktober

Viele Patienten benötigen aus diversen Gründen nach einem Krankenhausaufenthalt eine Anschlussbehandlung. Das ist der Grund, weshalb der Übergang von der stationären in die ambulante Versorgung möglichst reibungslos ablaufen sollte. Weitreichende, rechtliche Änderungen zum Entlassmanagement werden deshalb für Krankenhäuser – nach einigem Hin und Her – ab 1. Oktober verpflichtend in Kraft treten. Was das für System und Patient bedeutet, lesen Sie hier.

Bereits 2015 wurden im GKV-Versorgungsstärkungsgesetz verbindliche Standards für das Entlassmanagement festgelegt, um Versorgungslücken zu schließen und Reibungsverluste zu vermeiden. Nun hat der Gesetzgeber eine Neuregelung vorgenommen. Aus dem Rahmenvertrag geht so wörtlich hervor: „Das Krankenhaus ist gesetzlich dazu verpflichtet, die Entlassung der Patienten aus dem Krankenhaus vorzubereiten.“ Für Patienten eines Krankenhauses soll fortan je nach individuellen Erfordernissen die Anschlussversorgung verlässlicher sichergestellt werden, heißt es vonseiten der Deutschen Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen (DVSG). In der Praxis bedeutet das: Ein Patient erhält verbindlich einen Entlassbrief sowie Medikationsplan. Außerdem wird der Krankenhausarzt dazu befähigt Arzneimittel, Verband-, Heil- und Hilfsmittel, häusliche Krankenpflege und Soziotherapie für einen Zeitraum von bis zu sieben Tagen zu verordnen. Wesentlicher Bestandteil des Rahmenvertrags ist auch die Ansprechpartnerregelung, welche die Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen regelt und wonach Absprachen und bei Bedarf gemeinsame Organisation der erforderlichen Anschlussmaßnahmen zwischen den einzelnen Versorgungsbereichen stattfinden sollen. Ursprünglich sollte der Rahmenvertrag über das Entlassmanagement bereits zum 01. Juli in Kraft treten, jedoch kam es infolge eines Schiedsspruches – gegen den die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) Klage beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg einreichte – zu Verzögerungen. Nach Meinung des Bundesschiedsgerichts hätte für jeden Krankenhauspatienten eine Bewertung durchgeführt müssen, um den möglichen Bedarf für ein Entlassmanagement zu prüfen. Aus DKG-Sicht war sie allerdings lediglich für Patienten mit „definitivem“ Bedarf sinnvoll. Trotz aller Kritik am „bürokratischen Monster“ (DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum) scheinen sich die Parteien auf eine flächendeckende Umsetzung des neuen Rahmenvertrags geeinigt zu haben und der 1. Oktober wird wohl eingehalten werden können.

Und worauf haben sie sich geeinigt…?

Weiterentwicklung des DRG-Systems auf Klinik-Kongress gefordert

Auf dem Kongress des Bundesverbandes der Deutschen Privatkliniken wurde über die Zukunft der stationären Versorgung diskutiert.

Weil der Kongress in Hamburg stattfand, ließ es sich Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) nicht nehmen, über die nächsten Herausforderungen bei der Entwicklung der stationären Versorgung zu sprechen. Die Fallpauschalen, so ist sie überzeugt, hätten insbesondere bei der Personalausstattung zu Fehlentwicklungen geführt. Mehr Fälle und weniger Personal, das vertrage sich auf Dauer nicht. Die Selbstverwaltung sei in der Pflicht Personaluntergrenzen in der Pflege festzulegen. Das DRG-System müsse zudem dringend weiterentwickelt werden. Des Weiteren müsse es in der neuen Legislaturperiode darum gehen, einen ernsthaften Versuch zu unternehmen, die Sektorengrenzen aufzulösen. Gerade für die Versorgung der Multimorbiden und chronisch Kranken sei das essenziell. Hartmut Kliemt, Professor für Philosophie und Ökonomik, erklärte vor den Vertretern der Privatkliniken, dass es keineswegs verwerflich sei, wenn mit der Behandlung von Krankheiten Profit erwirtschaftet werde. Es brauche Profit, wenn man nicht genau wüsste, was das Ziel sein soll. Und das sei im Gesundheitswesen der Fall. „Wir brauchen tentative Leitlinien der Entwicklung des Gesundheitssystems", so Kliemts Urteil.

Aktionstag gegen den Schmerz

Sechs Millionen Menschen in Deutschland lassen sich regelmäßig wegen ihrer Schmerzen behandeln. Bei mehr als zwei Millionen ist das Leiden chronisch. Damit es in Zukunft gar nicht erst zu einer Chronifizierung kommt, fordert die Deutsche Schmerzgesellschaft eine bessere Schnittstellenversorgung.

In rund der Hälfte der deutschen Krankenhäuser erleiden Patienten unnötige Schmerzen – das ist das Ergebnis einer neuen Studie, die beim Aktionstag gegen den Schmerz vorgestellt wurde. Der Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft, Prof. Martin Schmelz, sagt: „Bei chronischen Schmerzen brauchen wir einen besseren Zugang zu Schmerzspezialisten, beispielsweise innerhalb einer Therapie, die auch Physiotherapeuten und Schmerzpsychologen in die Behandlung eng einbezieht.“ Derzeit dauere es oftmals Jahre, bis Patienten den Weg zu einer guten Therapie im Dschungel des Gesundheitswesens finden. „Hier müssen die Akteure der Gesundheitspolitik, wie etwa Krankenkassen, Kassenärztliche Vereinigungen sowie Landes- und Bundesregierung wirksamer als bisher handeln, um die angemessene Schmerzbehandlung der Patienten, aber auch den Nachwuchs an Schmerzspezialisten sicherzustellen“, fordert Schmelz. Ähnlich wie im Bereich der Hygiene könne seiner Idee nach ein Schmerz-Indikator zur Sicherstellung der Qualität in der Schmerztherapie eingeführt werden. Die Krankenhausqualität werde dadurch auch bei der Schmerzbehandlung besser und vergleichbar. Die Digitalisierung müsse zudem ausgenutzt werden, um positive Effekte in der Versorgung zu erzielen.

Ein entscheidendes Thema sei, die Versorgung an den Schnittstellen zu verbessern. Berend Groeneveld, Patientenbeauftragter und Mitglied im Geschäftsführenden Vorstand des Deutschen Apothekerverbandes, sieht hierbei die Apotheker in der Lage und auch in der Pflicht. „Aus meiner Sicht muss heutzutage niemand mehr an Schmerzen leiden. Wir haben gute Medikamente, wir müssen sie nur richtig einsetzen.“ Künftig sollten seiner Überzeugung nach Apotheker die Medikation überprüfen, um unerwünschte Wechsel- und Nebenwirkungen zu vermeiden.

Besser als ein Verbot: Versandapotheken in neue Modelle einbinden?

Die Apothekenlandschaft wird sich in den nächsten fünf Jahren deutlich verändern – das ist den Politikern parteiübergreifend bewusst. Die dünn besiedelten Regionen werden in Zukunft aller Voraussicht nach keine Apotheke mehr im näheren Umkreis finden. Hier sehen sich die Versandapotheker in der Pflicht.

Auf dem Kongress des Bundesverbandes der Deutschen Versandapotheken (BVDVA) gab es auf einer Podiumsdiskussion einen Vorgeschmack, wie sich die Politik in der kommenden Legislaturperiode mit Fragen der Arzneimittelpolitik auseinandersetzen wird. Einigkeit herrschte vor allem darüber, dass das elektronische Rezept nach der Bundestagswahl möglichst rasch umgesetzt werden müsse. „Das haben wir in dieser Legislatur nicht hinbekommen“, so CSU-Gesundheitspolitikerin Emmi Zeulner. Kordula Schulz-Asche, Grünen-Gesundheitspolitikerin, zeigte Unverständnis dafür, dass Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe sich so frühzeitig auf ein Rx-Versandverbot festgelebt habe und bezeichnete dies als „ganz großen Fehler“. Sie glaubt nicht daran, dass man den Rx-Versandhandel langfristig wird verhindern können. Die Zukunft seien Kooperationsformen zwischen Versandapotheken und Vor-Ort-Apotheken auf dem Land. Die Diskussion über ein Verbot sei „versäumte Zeit“, welche besser für die Entwicklung neuer medizinischer Versorgungsstrukturen unter Einbindung der Apotheken hätte verwendet werden sollen. Apotheken sollten ihrer Meinung nach dort sein, wo die Rezepte ausgestellt werden und „nicht in Fußgängerzonen“. Die SPD-Abgeordnete Sabine Dittmar sieht dies so ähnlich: „Dort, wo Ärzte zu finden sind, siedeln sich Apotheken an.“

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