Berlin-Chemie Newsletter vom 12.08.2014

Berlin-Chemie Newsletter vom 12.08.2014

  • Gesundheitspolitik vor „heißem Herbst“?
  • Sind Ärzte IT-Muffel?
  • Patienten mögen Gesundheits-Apps
  • Honorarpendel bewegt sich
  • ARMIN ohne Anschluss an Ärzte-EDV
  • Selbst ist der Apotheker
  • Gesundheitsförderung in Eigenverantwortung

Gesundheitspolitik vor „heißem Herbst“?

So konsequent wie Gesundheitsminister Gröhe hat wohl kaum einer seiner Vorgänger der letzten Jahre die Vereinbarungen des jeweiligen Koalitionsvertrages abgearbeitet. Noch sind die großen Gesetzespakete GKV Finanzstruktur- und Qualitätsentwicklungsgesetz sowie das Pflegestärkungsgesetz nicht rechtskräftig, da kommen bereits in den nächsten Wochen weitere Gesetzes-Pakete auf den Tisch der Parlamentarier.

„Versorgungsstrukturgesetz 2“ lautet der Arbeitstitel, obwohl das Paragraphenwerk am Ende wohl einen komplexeren und vor allem längeren Namen bekommen dürfte. Dahinter verbirgt sich eine ganze Menge: Zunächst sollen neue Möglichkeiten geschaffen werden, Medizinern das Niederlassen in strukturschwachen Regionen nahe zu bringen. Da die Anreize des so genannten „Landarztgesetzes“ von 2011 offenbar nicht reichen, sollen dem Vernehmen nach jetzt Kommunen und Regionen stärker in die Pflicht genommen werden, die Versorgung sicherzustellen. Sollte es hier nicht ausschließlich bei Anreizen bleiben, dürfte in einigen Regionen sogar das KV-Monopol für die Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung zumindest in Frage gestellt werden. Möglich sind aber auch ein stärkerer Druck zur Vernetzung ambulant-stationär sowie im Bedarfsfall erweiterte Möglichkeiten der ambulanten Öffnung von Kliniken. Dass hier bereits ein völlig neuer Honorarverteilungsschlüssel für Ärzte angedacht wird, gilt jedoch als unwahrscheinlich.
Nicht weit weg von obigem Thema ist die Einführung von Terminvergabestellen für die fachärztliche Versorgung. Die Proteste der Ärzte gegen diesen Eingriff in ihre Berufsausübungsfreiheit scheinen im Gesetzgebungsverfahren keine Beachtung zu finden. Es wird wohl möglich werden, dass dort, wo die KVen keine gangbaren Lösungen präsentieren, auch Kassen sich einschalten dürfen. Ob die Terminvergabe bei oft überlasteten Facharztpraxen sich dadurch beschleunigen lässt, ist jedoch sehr fraglich. Möglich wäre es aber, dass damit die von Kassen durchaus gewünschte Regelungskompetenz im Rahmen der Selbstverwaltung sich zugunsten der GKV-Bürokratie oder arztfremder Lösungen verschieben könnte.
Eines der „Lieblingsziele“ des Gesundheitsministers ist offenbar die Stärkung von IT-Vernetzung und Telemedizin. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens, so Gröhe, sehe er als Versorgungsziel sowie auch als stärksten Treiber für Innovationen. Noch in diesem Jahr soll es ein „e-Health oder Telemedizin-Gesetz“ geben. Teile könnten schon unter dem Aspekt flächendeckender Versorgung stehen. Die Frage wäre beispielsweise, ob das bisher gültige Fernbehandlungsverbot für Mediziner fällt. Bei der eCard teilt Gröhe den Optimismus seiner Vorgänger. Auch wenn Organisationen wie der Spitzenverband der Fachärzte inzwischen formell pro elektronische Gesundheitskarte stimmen, dürfte über diese künftig aber auch kaum mehr Daten transportiert werden als der ärztlichen Basis recht sein wird. Am Ende ist diese Minimallösung ohnehin bereits technisch überholt.
Auch ein Gesetz zur Hospiz- und Palliativversorgung steht an. Stichwort „Sterbehilfe“. Mit besonderer Spannung wird erwartet, was das Präventionsgesetz bringt, dessen Entwurf vielleicht als „Weihnachtsüberraschung“ kommen könnte. Alle Ansätze der Vorgänger Gröhes waren stets am Ende der Legislaturperiode gescheitert. Erstmals wird nun zu Beginn der Regierungszeit der Versuch gemacht. Es ist zu erwarten, dass auf den noch unter Daniel Bahr erarbeiteten Gesetzentwurf aufgesetzt wird. Ob allerdings eine Stelle wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung die Steuerung übernehmen soll, der Auftrag an die Regionen weitergegeben wird oder aber die Kassen – wie die es sich wünschen – stärker in die Regie eingreifen dürfen, ist noch unklar. Auch die Frage, wie weit man Prävention auch als Sekundärprävention bei Chronikern und Multimorbidität sieht oder in neue Versorgungsstrukturen im Alter einführen möchte, könnte überraschende Vorschläge bringen.
Noch einmal treffen könnte es die Arzneimittel-Hersteller. Die Kassen ärgert die Aussetzung der Bestandsmarkt-Bewertung durch den G-BA. Nun möchte man diese gerne durch die Hintertür wieder einführen. Anlass wäre beispielsweise eine Indikationserweiterung von innovativen Präparaten, die aufgrund ihrer langen Marktpräsenz nicht in die aktuelle Kosten-Nutzen-Bewertung einbezogen werden. Argument der Kassen: Ihnen gingen dann durch die Verlängerung des Unterlagenschutzes dieser Mittel Einsparungen verloren, die eine schnellere Einführung als generische Produkte zur Folge hätte. Kritiker sehen hier die Kassen mehr um die Frage des Prinzips und ihres Einflusses über den G-BA kämpfen als um notwendige Einsparungen (immerhin hat die GKV noch gesetzlich unzulässige Rücklagen in zweistelliger Milliardenhöhe). Die Arzneimittelhersteller erwarten dagegen von der Politik Planungssicherheit und Zuverlässigkeit, die Entscheidung gegen eine Bestandsmarktbewertung nicht erneut in Frage zu stellen.

Sind Ärzte IT-Muffel?

International ist der Trend zu vernetzter Medizin unverkennbar. Vitaldaten, Laborwerte, bildgebende Verfahren sind in elektronischer Form aus der Behandlung gar nicht mehr weg zu denken. Dennoch geben sich die Mediziner, was ihre Affinität zur IT angeht, gerne selbst schlechtere Noten als ihre Kollegen in anderen Ländern.

Um es vorweg zu nehmen: So schlecht, wie sich deutsche Ärzte in Sachen IT-Vernetzung sehen, sind sie keineswegs. Viele nutzen Vernetzungsmöglichkeiten mit Kollegen, stationären Einrichtungen oder aber auch Erweiterungen ihrer Praxis-Software, die über die Abrechnung hinausgehen. Nicht zuletzt ist ein Trend hin zu elektronischer Terminbuchung zu erkennen. Startups, wie das auf Praxisbuchungs-Software spezialisierte Berliner IT-Haus SAMEDI haben Konjunktur.
Klicken sich Ärzte aber auch – wie es in den USA der überwiegende Teil ihrer Kollegen tut – durchs Internet, um Detailinformationen zu Krankheiten einzuholen? Nach einer Umfrage des medizinischen Online-Portals „Medscape“ (50.000 Ärzte und 150.000 sonstige Gesundheitsfachkräfte) scheint das hierzulande wenig populär. Medscape startete eine Umfrage unter 1849 bei DocCheck registrierten Medizinern. Ergebnis: 74 Prozent nutzen gar keine medizinischen Apps, 38% sind in keiner Online-Community, in der sie sich fachlich austauschen oder informieren. Die höchsten Quoten erreichen da noch „Arznei aktuell“ mit 8 %, gefolgt von der Roten Liste, der Online Repräsentanz des Ärzteblatts oder PubMed in jeweils einstelligem Prozentbereich. Probleme scheinen deutschen Ärzten englischsprachige Publikationen zu bereiten. 81% möchten diese ausschließlich auf Deutsch. Immerhin lesen aber 6% schon mal das New England Journal of Medicine und knapp zwei Prozent die englische Fachzeitschrift „Lancet“. Fachinformationen holen sich die heimischen Mediziner ansonsten am häufigsten bei Kongressen (76%) oder bei Kollegen (57%). Um auf dem neuesten Stand der medizinischen Forschung zu bleiben, geben 87% der in der Online-Umfrage konsultierten Ärzte die Lektüre ihrer klassischen Fachzeitschrift an.

Patienten mögen Gesundheits-Apps

Auf den ersten Blick sieht es so aus, dass potentielle Patienten IT-Informationen mehr zugeneigt sind, als ihre Ärzte (siehe oben). Allerdings ist der Inhalt der Smartphone-Apps durchaus etwas anderes als fachmedizinische Plattformen, wie sie beispielsweise in den USA von Medizinern intensiv genutzt werden.

Die Hitliste der so genannten Gesundheits-APPs ist groß. Und sie wird, so ließ unlängst IPhone-Hersteller Apple durchblicken, wohl erst richtig groß, wenn Apple sein neues Iphone-Betriebssystem IOS 8 auf den Markt bringt. Dort soll eine „Health-Plattform“ integriert sein. Apple und andere Anbieter wollen dann Apps anbieten, die auf dieser Plattform gesammelt werden. Sozusagen ein Patientendaten-Safe. Nur: Wenn auch 22 Prozent der Smartphone-Nutzer bereits solche Apps nutzen - an einem Online-Austausch sensibler Gesundheitsdaten reagiert man sehr verhalten! 39% der App-Nutzer haben nach Befragung der IKK classic sogar Befürchtungen, durch die gesammelten Informationen Opfer von Fehldiagnosen zu werden. So verzichtet laut Erhebung rund ein Drittel der Nutzer ganz auf eventuell mögliche Online-Auskünfte. Bei ernsten Gesundheitsfragen will man sich da lieber an Arzt und Apotheker halten.
Geht es um die reine Daten-Erhebung, so können sich aber beispielsweise 12 Prozent vorstellen, via Smartphone ein Schlaftagebuch zu führen, 18 Prozent, ihre Blutzuckerwerte zu messen oder 21 Prozent den Puls zu messen. Servicefunktionen wie das Erinnern an Tabletteneinnahme (26%) oder das Vereinbaren eines Arzttermins (30 %) sind noch beliebter. Einen Notfallausweis aufs Handy zu speichern, wie es die nächste Smartphone-Generation vorsieht, können sich 33 % vorstellen. Die EU will übrigens demnächst eine neue Verordnung zur Sicherheit medizinischer Daten auf Smartphones und Tablets erlassen.

Honorarpendel bewegt sich

Die ärztlichen Honorare in Deutschland entwickeln sich offenbar sehr unterschiedlich. Rein rechnerisch ergibt sich bei Fachmedizinern sogar ein Minus im Vergleich zum Vorjahr, wenn man die Honorarumsätze auf Behandlungsfälle umrechnet.

Zahlenspiele bei Honorarverteilungen sind ein gängiges Instrument, aus leichten Tendenzen Problemfragen zu machen. So könnte man auch den aktuellen Honorarbericht (Ergebnisse aus dem 2. Quartal 2013) der KBV sehen. Danach ist der Honorarumsatz je Arzt/Psychotherapeut zwar im Vorjahresvergleich um 2,6 Prozent gestiegen (Zuwachs im Bundesdurchschnitt pro Arzt 1280 Euro), der Umsatz im einzelnen Behandlungsfall bei Fachärzten allerdings um 0,9 Prozent zurückgegangen (minus 59 Cent). Das jedoch sehr unterschiedlich, denn beispielsweise Dermatologen konnten im Berichtszeitraum immerhin 6,7 % mehr verbuchen (3394 Euro). Bei den Hausärzten lag der Honorarzuwachs im Schnitt bei plus 4 % (1934 Euro). Auf Bundesebene stieg die Gesamtvergütung aller KVen um 313,7 Millionen Euro (+3,9 Prozent).
Vor dem Hintergrund von Honorarschlüsseln innerhalb der Kven mögen diese Statistiken sicherlich interessant sein. Gerade angesichts neuer Versorgungsstrukturen, innovativer Vernetzungslösungen und möglicherweise anderen Berufsausübungs-Bildern der nachwachsenden Mediziner-Generation stellen Experten sich allerdings zunehmend die Frage, ob nicht völlig neue Wege der Honorarverteilung zu erproben sind. Auch, um die Chance zu haben, Innovationen schneller in der Versorgung zu erproben. Möglicherweise wird im kommenden Versorgungsstrukturgesetz seitens der Politik dazu bereits Bezug genommen.

ARMIN ohne Anschluss an Ärzte-EDV

Nur eines von 180 eingesetzten Softwareprogrammen kann derzeit mit ARMIN zusammenarbeiten.

Enorme Anlaufschwierigkeiten verzeichnet ARMIN. Seit Monatsbeginn ist das Modellprojekt Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen (ARMIN) scharf gestellt: Nach der Einschreibephase können die Ärzte jetzt Wirkstoffverordnungen ausstellen. Eine solche Verordnung dürften Apotheker bislang aber kaum gesehen haben – denn erst eine einzige Praxissoftware von 180 hat die neue Verordnungsmethode umgesetzt. Das Interesse der Ärzte an ARMIN ist offenbar gering – und somit auch die Nachfrage bei den Softwarehäusern. Das Unternehmen Medatixx bietet inzwischen für sein Programm x.isynet ein ARMIN-Update an – nach eigenen Angaben als erstes Unternehmen. Ärzte, die diese Software nutzen und das Update erwerben, können ab sofort an dem Modellprojekt teilnehmen. Für die Programme x.concept und x.comfort sollen die neuen Funktionen ab Oktober erhältlich sein. Allerdings ist damit nur ein Anbieter mit einer Software auf die Wirkstoffverordnung auf dem Markt. Die Software x.isynet von Medatixx nutzen nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) 8 Prozent der Ärzte. Zusammen mit den Programmen x.concept und x.comfort kommt der Anbieter auf insgesamt 17 Prozent Marktanteil. Marktführer ist die CompuGroup: Mit insgesamt sieben verschiedenen Programmen kommt der Anbieter aus Koblenz auf einen Marktanteil von 34 Prozent. Die zwei am häufigsten verwendeten Systeme sind Medistar (13 Prozent) und Turbomed (11 Prozent). Der Markt bei Praxissoftware ist im Ganzen sehr kleinteilig: Insgesamt gibt es der KBV zufolge knapp 180 verschiedene EDV-Systeme, die in Arztpraxen genutzt werden. Rund zwei Drittel aller Ärzte nutzen eines der zehn häufigsten verwendeten Programme.

Selbst ist der Apotheker

Durchschnittlich zweimal am Tag produziert jede deutsche Apotheke eine Eigenrezeptur.

Im Jahr 2013 haben die öffentlichen Apotheken mehr als 12 Millionen Rezepturen für Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hergestellt. Das ermittelte das Deutsche Arzneiprüfungsinstitut e.V. (DAPI) durch die Auswertung von Verordnungen. „Insgesamt dürfte die Zahl sogar noch deutlich höher liegen, weil Rezepturen für Privatversicherte oder auf direkte Nachfrage gar nicht erfasst werden. Das zeigt: Rezepturarzneimittel sind und bleiben eine notwendige Ergänzung zu industriell hergestellten Arzneimitteln“, so Dr. Andreas Kiefer, Vorstandsvorsitzender des DAPI und Präsident der Bundesapothekerkammer. „Rezepturarzneimittel sind in vielen Fällen unersetzlich, zum Beispiel wenn ein Kind ein Medikament in einer Dosis braucht, für die es kein industrielles Arzneimittel gibt. “Der Großteil der 12 Millionen maßgefertigten Medikamente für gesetzlich Versicherte entfiel 2013 auf so genannte ‚allgemeine Rezepturen‘ (7,8 Mio. Arzneimittel), z.B. Kapseln oder Salben. Jede Apotheke kann solche allgemeinen Rezepturen herstellen. Davon abgegrenzt werden so genannte Spezialrezepturen, z.B. für die Heroinersatz- oder Krebstherapie sowie die parenterale Ernährung. Auch bei den Spezialrezepturen ist davon auszugehen, dass die Zahl der tatsächlich hergestellten Rezepturen über den erfassten Werten liegt. Die Anforderungen an die Herstellung von Rezepturarzneimitteln sind in den letzten Jahren gestiegen. So ist seit 2012 u.a. vorgeschrieben, dass der Apotheker bei jeder einzelnen Rezeptur die Plausibilität der Verordnung überprüfen und dokumentieren muss.

Gesundheitsförderung in Eigenverantwortung

GKV trägt gut die Hälfte der Kosten für Rückenschulung und andere Massnahmen zur Gesundheitsförderung. Aber der Patient muss mitmachen.

5840 Millionen Euro sind keine Kleinigkeit. Die Gesundheitsförderung an der Schnittstelle zwischen Kollektiv- und Individualprophylaxe, an der Grenze zwischen betrieblicher Veranstaltung und Freizeitaktivität führt im bundesdeutschen Gesundheitswesen gemessen am Gesamtetat ein Schattendasein. Die Gesetzliche Krankenversicherung ist daran mit exakt der Hälfte in Höhe von 2931 Millionen Euro beteiligt. Private Haushalte steuern mit knapp 1200 Millionen Euro ein weiteres Drittel bei und Arbeitgeber (854 Mio €) sowie öffentliche Haushalte (766 Mio €) teilen sich fast paritätisch den Rest, denn die Anteile der PKV (43 Mio €), der gesetzliche Unfallversicherung (39 Mio €) und der Rentenversicherung (18 Mio €) sind in dieser Gesamtsumme nur marginal. Interessant ist eine Kosten-Nutzenbewertung angestellt vom Institut für Gesundheit (iga). So zeigt die Auswertung von mehr als tausend Einzelstudien, dass ein in die Gesundheitsförderung investierter Euro mit Blick auf reduzierte Gesundheitsrisiken und Krankheitshäufigkeit einen Nutzen in einer Bandbreite von 2,30 bis zu 5,90 Euro bringt. Bei Fehlzeitenabbau ist die Bandbreite noch größer – im besten Fall um das Zehnfache reduziert. Wichtig für den Erfolg ist, dass der Mitarbeiter eigenverantwortlich damit umgeht.

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