Berlin-Chemie Newsletter vom 07. November 2019

Berlin-Chemie Newsletter vom 07. November 2019

  • Gesundheitsausschuss stimmt DVG zu
    Versichertendaten werden von Anfang an pseudonymisiert
  • eRezept: Die Gematik sieht sich im Zeitplan
    Komfortsignatur für mehr Ärzteakzeptanz?
  • Gesundheit: Der heilige Gral der Digitalisierung
    Finnland als Vorbild für die Datennutzung?
  • Hebammenreform wartet auf Zustimmung des Bundesrates
    Ein Fall für den Vermittlungsausschuss?
  • Gewalt gegen Ärzte wird nicht länger geduldet
    Jens Spahn kündigt schärferes Strafrecht an
  • Wird Zeitarbeit in der Pflege verboten?
    Die Debatte ist größer als das Problem
  • Fehlen 100.000 Fachkräfte bis 2030?
    Durchgreifende Veränderungen müssen her
  • Zusatzbeitrag steigt auf durchschnittlich 1,1 Prozent
    Ist das die Quittung für Spahns Politik?

 


Gesundheitsausschuss stimmt DVG zu    

Es waren hitzige Diskussionen. Doch kurz vor dem Parlamentsbeschluss wurden wichtige Datenschutzfragen doch noch geklärt.

Der Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages hat das Digitale Versorgungs-Gesetz (DVG) gestern, einen Tag vor der heutigen 2./3. Lesung im Deutschen Bundestag, mehrheitlich gebilligt. Union und SPD stimmten der veränderten Fassung zu, Grüne und Linke lehnten sie ab, FDP und AFD enthielten sich. Bis zuletzt wurde vor allem heftig über die Einrichtung eines zentralen Diagnosepools gestritten, der für Forschungszwecke mit Versichertendaten gefüllt werden soll – und zwar ohne deren vorherige Zustimmung. Gesetzliche Kassen sollten dem DVG-Entwurf zufolge die persönlichen Daten ihrer Versicherten sowie sämtliche Behandlungsdaten an den GKV-Spitzenverband weiterleiten. Erst dort sollten die Daten pseudonymisiert und für die Forschung zur Verfügung stellt werden. Ein absolutes No-Go für die Datenschützer. Am lautesten aufgeschrien hatte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Deren gesundheitspolitische Sprecherin, Maria Klein-Schmeink, warnte: „Es droht ein großer Vertrauensverlust. Nie zuvor wurden bislang Versorgungsdaten ALLER gesetzlich Versicherten ohne Pseudonymisierung an einer Stelle zusammengetragen.“ Auch die FDP-Bundestagsfraktion äußerte harsche Kritik an den Plänen.

Am Ende lenkte die Regierungskoalition doch noch ein und hat entsprechende Passagen mit Änderungsanträgen nachgebessert. Künftig soll die Überlieferung der pseudonymisierten Daten ohne die Versichertennummer erfolgen, um die nachträgliche Identifizierung zu erschweren. Nutzungsberechtigten ist außerdem eine Verarbeitung der Daten zum Zwecke der Herstellung eines Personenbezugs oder der Identifizierung von Leistungserbringern ausdrücklich untersagt und unter Strafe gestellt.

eRezept: Die Gematik sieht sich im Zeitplan    

Das elektronische Rezept soll in zwei Stufen eingeführt werden. Und: Der Gematik-Chef wundert sich über die große Zahl an Pilotprojekten.

Dass ab 2021 die elektronische Patientenakte (ePA) flächendeckend den Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung stehen soll, wird bei all den Diskussionen um Datensicherheit, Fristen und Zugriffsmanagement wohl jeder Gesundheitsakteur mitbekommen haben. Ruhiger ist es um das elektronische Rezept (eRezept). Auch dieses soll 2021 flächendeckend verfügbar sein, betonte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn erst im Oktober wieder vor dem Ausschuss Digitale Agenda. Verankert ist das eRezept im „Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung“, das am 16. August 2019 in Kraft getreten ist. Bis zum 30. Juni 2020 sollen nun die Spezifikationen durch die Gematik publiziert werden. Der Zeitplan wird von vielen – vor allem seitens der Ärzteschaft – als ambitioniert eingeordnet. Dr. Markus Leyck Dieken, Geschäftsführer der Gematik, erwartet eine fristgerechte Publikation. Trotzdem wird es ab 01.07.2020 kein eRezept in Deutschland geben. Ab diesem Datum können dann Hersteller ihre Produkte und Entwicklungen an die Spezifikationen anpassen. Es folgen Testlauf und Zulassung durch die Gematik. Die medikamentöse Therapie sei schon kompliziert per se, so Leyck Dieken. Deshalb sei eine Überlegung beim eRezept gewesen: Zentrale Bausteine, die extrem relevant und stabil sein müssen, werden von der Gematik auf die Telematik-Infrastruktur (TI) aufgesetzt. Der Wettbewerb findet dann über andere Bausteine der Ausgestaltung statt. Der Rezeptserver, der für die Übermittlung benötigt wird, soll europaweit ausgeschrieben und dann durch einen Dienstleister betrieben werden.

Auf der „expopharm“ Ende September in Düsseldorf behauptete Fritz Becker, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbandes (DAV): „Wir sind die Einzigen, die das eRezept eng an den Vorgaben der Telematik-Infrastruktur entwickeln." Ein erstes DAV-Modellprojekt mit der Patienten-App des DAV soll in Kürze in Berlin starten. Über die Anwendung sollen Patienten ihre eRezepte lesen, verwalten und transportieren können. Dann ist da auch noch GERDA – der „Geschützte eRezept-Dienst der Apotheken“, der derzeit in der Region Stuttgart getestet wird. Es gibt noch zahlreiche weitere Modellprojekte. Das ist auch der Gematik nicht so ganz geheuer. „Wir brauchen Pilotprojekte, um etwas zu lernen. Aber wir haben sehr viele Pilotprojekte zum eRezept. Der ein oder andere Akteur sollte vielleicht innehalten und sich orientieren, wie weit er weiterinvestieren will. Denn nach der Veröffentlichung der Spezifikationen müssen die Anwendungen angepasst werden“, so Leyck Dieken. Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller in Deutschland (BAH) forderte unlängst, dass auch das Grüne Rezept, eine Empfehlung des Arztes für ein apotheken-, aber nicht verschreibungspflichtiges Medikament - beim eRezept einbezogen werden müsse. Das könnte, so der Gematik-Chef, Mitte 2021 mit den Spezifikationen der Ausbaustufe „2.0“ integriert werden. Vorgesehen sind in diesen eRezepte für Betäubungsmittel, T-Rezepte sowie Heil- und Hilfsmittel. Über die Integration der Grünen Rezepte gebe es derzeit Diskussionen. Gleiches gelte für die Privatrezepte, die von der Ärzteschaft gefordert werden.
In der Ärzteschaft gibt es zudem noch einige Zweifel. Zwar akzeptieren die Standesvertreter, dass die Fernbehandlung mit dem eRezept ein Stück sinnvoller wird. Während ein herkömmliches Papierrezept aber in Windeseile unterzeichnet ist, dauert die Qualifizierte Elektronische Signatur (QES) pro Dokument zwischen zehn und zwanzig Sekunden. Bei jährlich 464 Millionen Rezepten in der Gesetzlichen Krankenversicherung oder fast 1,3 Millionen Rezepten pro Tag sei das viel zu viel Zeitaufwand und den Ärzten nicht zuzumuten, kritisiert die Kassenärztliche Bundesvereinigung. Als Lösung schlägt die KBV die Komfortsignatur vor. Sollte diese sich durchsetzen, dann müsste sich der Arzt nur ein einziges Mal mit dem Heilberufsausweis und seinem PIN am Kartenterminal anmelden, um dann bis zu 250 Dokumente ohne erneute PIN-Eingabe signieren zu können. Die Gematik lässt die Umsetzbarkeit gerade in Gesprächen mit Datenschützern prüfen. Die Stapel-Signatur sei nur bedingt geeignet, so die KBV, weil Patienten nicht erst auf die Weitergabe der elektronischen Buchungsinformationen warten wollen, sondern ihr Rezept direkt auf dem Heimweg in der nächstgelegenen Apotheke einlösen wollen.

Gesundheit: Der heilige Gral der Digitalisierung    

Deutschland kann bei der Digitalisierung aufholen, ist sich ein Abteilungsleiter im Bundesministerium für Gesundheit sicher. Dafür braucht es aber auch eine vernünftige Gesetzgebung zur Datennutzung. Die finnische Lösung könnte Modell stehen.

„Das Gesundheitswesen ist der heilige Gral, wenn es um Künstliche Intelligenz und Digitalisierung geht, gerade weil es so schwierig ist. Eine Restaurant-Empfehlung zu geben ist deutlicher einfacher als eine Therapie-Empfehlung. Es geht um Menschenleben, es geht um Vertrauen, fest etablierte Strukturen, komplexe Zusammenhänge und Privatsphäre“, so Dr. Bernd Montag, CEO der Siemens Healthineers, auf der Veranstaltung Health 2019 in Berlin. Der heilige Gral sei es nicht, wenn ein Computer einen Schach- oder Go-Spieler schlage. „Wir fangen nicht an, das Gesundheitssystem von oben zu digitalisieren. Wir fangen an, bestehende Geräte und Prozesse zu verbessern, intelligenter zu machen und zu optimieren“, so Montag weiter. Der Urmoment der Medizin, das vertrauensvolle Gespräch zwischen Arzt und Patient, dürfe aber niemals vergessen werden, so der Unternehmenschef.

„Ich glaube, dass wir bei der Digitalisierung immer noch aufholen können. Das ist die gute Nachricht. Aber wir müssen weiter beschleunigen“, so Dr. Gottfried Ludewig, Abteilungsleiter „Digitalisierung und Innovation“ im Bundesministerium für Gesundheit. „Wir werden nie in der Lage sein, internationale Großkonzerne nur mit rechtlicher Regulierung aus dem Markt zu halten. Das ist eine Illusion“, warnte Ludewig. Die Datenschutzgrundverordnung sei jedoch keine Hürde für Innovation, so der Abteilungsleiter weiter. Er sei erfreut, dass Deutschland für die EU-Ratspräsidentschaft ab der zweiten Jahreshälfte 2020 die Entwicklung eines auf das Gesundheitswesen fokussierten Code of Conducts für die Datenschutzgrundverordnung anstrebe. Das Vorhaben erhielt in Berlin auch Zuspruch aus anderen europäischen Gesundheitsministerien. Ron Roozendaal, Director of Information Policy and CIO im niederländischen Ministry of Health, Welfare and Sport, betonte zum Beispiel: „Wenn man Daten einsperrt, dann werden sie die nächste teure Medizin.“ Auch betonten die Politikvertreter, dass Europa bei den Herausforderungen in der Gesundheitsversorgung zusammenarbeiten müsse. „Wir müssen mehr grenzüberschreitende Lösungen finden und im Team zusammenarbeiten. Wir haben in Finnland eine wundervolle Gesetzgebung bei der Handhabung von Daten. Es gibt seit Mai eine Regelung zur zweiten Nutzung von Daten (Act on the Secondary Use of Health and Social Data)“, ermunterte Dr. Sinikka Salo, Leader of Change im Ministry of Social Affairs and Health in Finnland, andere Länder zur mutigeren Datennutzung. Als Zweitnutzung können die Daten u.a. für die wissenschaftliche Forschung, Statistiken, die Entwicklung von Innovationen, die Steuerung und Kontrolle über Behörden, sowie Planungs- und Berichtspflichten der Behörden genutzt werden. Mit dem Gesetz soll u.a. der sich überschneidende Verwaltungsaufwands im Zusammenhang mit der Bearbeitung von Genehmigungen beseitigt und die reibungslosere und schnellere Bearbeitung von Genehmigungen sowie das reibungslosere Zusammentragen von Daten aus verschiedenen Registern ermöglicht werden. Die Datenzugriffsrechte des finnischen Instituts für Gesundheit und Soziales und die Rechtsgrundlage für die nationalen Register, für die das Institut zuständig ist, wurden entsprechend den Anforderungen der Allgemeinen Datenschutzverordnung angepasst. „Bei Innovationen geht es vor allem um Kollaborationen. Aktuell konkurrieren wir nordischen Länder bei einigen Projekten, aber das sollte nicht der Fall sein“, äußerte auch Kalle Killar, Deputy Secretary General, E-Services and Innovation im Ministry of Social Affairs in Estland.

Hebammenreform wartet auf Zustimmung des Bundesrates    

Die Hebammenreform soll 2020 in Kraft treten, doch die Zustimmung des Bundesrates für das am 26. September 2019 vom Bundestag verabschiedeten Gesetzes steht noch aus. Der Ausschuss für Kulturfragen hat die Einberufung des Vermittlungsausschusses empfohlen.

Für die Reform der Hebammenausbildung wird es allmählich eng. 2020 soll sie in Kraft treten, doch der Ausschuss für Kulturfragen hat dem Bundesrat jüngst empfohlen, zu dem vom Deutschen Bundestag am 26. September 2019 verabschiedeten Gesetz den Vermittlungsausschuss einzuberufen. Die Länder fürchten offenbar, mit den Mehrausgaben allein dazustehen. Der Ausschuss begründet seine Empfehlung wie folgt: „Angesichts der begrenzten Haushaltsmittel im Hochschulbereich besteht derzeit kein finanzieller Spielraum, um die nach dem Gesetz erforderlichen Studienkapazitäten im Bereich der Hebammenausbildung an den Hochschulen aus den bestehenden Landesmitteln zu schaffen und ein angemessenes Verhältnis zu den Studienkapazitäten der weiteren gesundheitsbezogenen Fachrichtungen zu etablieren.“

Der federführende Gesundheitsausschuss empfiehlt dem Bundesrat hingegen, dem Gesetz zuzustimmen und folgende Entschließung zu fassen: „Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die Auswirkungen der Anforderungen an die Leitung des Studiengangs auf die bereits bestehenden Hebammenstudiengänge zu prüfen. Sollte sich dabei bestätigen, dass die Anforderungen einen Großteil der bestehenden Studiengänge gefährden, wird der Bundesgesetzgeber aufgefordert, § 20 Absatz 2 HebG dahin gehend zu ändern, dass der Leitung des Studiengangs Zeit bis Ende des Jahres 2025 eingeräumt wird, um die geforderte Qualifikation zu erlangen.“

Nun schaltet sich der Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, Dr. Thomas Steffen, ein und wendet sich in einem Brief an die Gesundheitsminister und Senatoren der Länder. Darin heißt es unter anderem: „Ich verstehe das Anliegen, die Kosten der Reformen bei den Ausbildungen zu Heilberufen im Blick zu behalten. Deshalb hat die Bundesregierung Gesetzesentwürfe vorgelegt, die die zusätzlichen Kosten für die Länder möglichst niedrig halten. [...] Eine vollständig kostenneutrale Ausgestaltung dieser Reformen ist jedoch nicht realistisch.“ Steffen verweist zudem darauf, dass die gesetzliche Krankenversicherung einen nicht unerheblichen Beitrag leistet, „indem der berufspraktische Teil des Hebammenstudiums einschließlich der Vergütung der Hebammenstudierenden aus den Ausbildungsfonds nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz finanziert wird“. Abschließend schreibt Steffen: „Bitte bedenken Sie dies bei Ihrer Entscheidungsfindung und setzen Sie sich für eine Zustimmung im Bundesrat sowohl für die Reform der Hebammenausbildung wie auch für die Reform der Psychotherapeutenausbildung ein.“
 
Am Freitag, 8. November 2019, herrscht Klarheit. Dann steht die Hebammenreform auf der 982. Sitzung des Bundesrates auf Tagesordnungspunkt 8.

Gewalt gegen Ärzte wird nicht länger geduldet    

Gewalt gegen Ärzte und Rettungskräfte hat in Deutschland schrittweise zugenommen. Härtere Strafen sollen nun für Abschreckung sorgen.

Die Situation hat sich zugespitzt: Nach einer Umfrage des Beamtenbundes haben 58 Prozent der Deutschen schon einmal Angriffe auf Rettungskräfte und Notärzte beobachtet. Vor allem in den Notfallambulanzen geraten Ärzte und Pfleger in gewalttätige Auseinandersetzungen. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte in einem Interview: „Die Zahl der Übergriffe auf Ärzte und Pfleger ist in kürzester Zeit um mehr als die Hälfte gestiegen.“ Einige Krankenhäuser müssen bereits Sicherheitsdienste beschäftigen, um aggressive Patienten in die Schranken zu weisen.

Nun hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn reagiert und angekündigt, das Strafrecht bei Gewalt gegen Ärzte und Rettungskräfte zu verschärfen. Mit Bundesjustizministerin Christine Lambrecht hat er sich bereits geeinigt und entsprechende Änderungen in das Eckpunktepapier gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität aufgenommen. Spahn will nach außen deutlich machen: Helfer genießen den besonderen Schutz der Gemeinschaft.

Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt betrachtet das als richtigen Schritt und sagt: „Wir verstehen die angekündigte Strafrechtsverschärfung aber auch als eine Solidaritätsadresse der Politik an all jene, die oftmals sogar ihre eigene Gesundheit aufs Spiel setzen, um anderen Menschen in Notsituationen zu helfen. Die Initiative des Bundesgesundheitsministers kann ein starkes Signal dafür sein, Gewalt gegen Retter und Helfer gesellschaftlich zu ächten. Wir nehmen deutlich war, dass die Aggressivität gegen Ärzte und andere Berufsgruppen im Gesundheitswesen seit Jahren zunimmt.“
 
Die Landesärztekammer Hessen hatte bereits im vergangenen Jahr gefordert, Ärzte unter besonderen Schutz zu stellen. Dr. Edgar Pinkowski, Präsident der Landesärztekammer Hessen, warb für eine Ausdehnung des Straftatbestands „Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte“ (§ 115 Strafgesetzbuch) auf Ärzte, die auch vom 121. Deutsche Ärztetag in Erfurt aufgegriffen wurde. Ein konkreter Gesetzentwurf soll bald folgen, erklärte Spahn: „In Kürze werden wir dazu einen Vorschlag vorlegen, wie wir das Strafgesetzbuch konkret ändern wollen.“

Wird Zeitarbeit in der Pflege verboten?    

Berlin will sich im Bundesrat für ein Verbot der Leiharbeit in der Pflege stark machen. Das ist vor allem Symbolpolitik und geht am Kern des Problems vorbei.

Im Mai 2019 forderten die Mitglieder des Verbands der Krankenhausdirektoren Deutschlands (VKD) im Austausch mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn das Verbot privater Zeitarbeitsunternehmen. Der Minister lehnte ab, sprach davon, den Kündigungen der Pflegekräfte mit besseren Arbeitsbedingungen entgegenwirken zu wollen. Er sei überzeugt, dass Zeitarbeit ein richtiges Instrument im deutschen Arbeitsmarkt sei und ein Verbot Folgewirkungen in andere Bereiche habe, so Spahn damals. Ebenfalls im Mai 2019 veröffentlichte die Bundesagentur für Arbeit eine Sonderauswertung der Arbeitnehmerüberlassungsstatistik. Demnach waren 2018 von den 643.249 Beschäftigten in der Altenpflegebranche gerade einmal 1,37 Prozent bei Zeitarbeitsunternehmen beschäftigt. In der Krankenpflege ist der Anteil sogar geringer. Im September hörte sich die Position Spahns nun anders an. „Leiharbeit in der Pflege soll die Ausnahme sein und nicht die Regel werden“, äußerte er gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Künftig sollen nach Vorstellung des Ministers höhere Kosten, die bei Leiharbeitskräften anfallen können, nicht mehr von den Krankenkassen refinanziert werden. Zudem sollen über die Tariflöhne hinausgehende Zusatzkosten und Vermittlungsprovisionen bei Leihpersonal demnach nicht im künftigen „Pflegebudget“, das die Kassen zahlen, berücksichtigt werden.

Die Gesundheitssenatorin Berlins ging nun noch einen Schritt weiter. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel betonte Dilek Kalayci, dass sie sich für ein Verbot von Leiharbeit in der Pflege einsetzen wolle. Die SPD-Politikerin kündigte an, dass Berlin dafür Anfang 2020 eine Bundesratsinitiative starten wolle. Sie argumentiert, dass Zeit- und Leiharbeit wechselnde Teams zur Folge habe und darunter die Pflegequalität leide. Die Ursachen für die Abwanderung von Pflegekräften zu Zeitarbeitsfirmen sind vor allem attraktivere Löhne und Konditionen sowie bessere Möglichkeiten der Work-Life-Balance mit begrenzten oder gar keinen Nacht- und Wochenendschichten. Und das sind aus Sicht der Pflegekräfte auch nachvollziehbare Forderungen bei den Arbeitsbedingungen. "Der Dienstplan muss sich zu allererst nach den Anforderungen der pflegebedürftigen Menschen richten. Die Versprechen der Zeitarbeitsfirmen zu Wunscharbeitszeiten werden dann auf dem Rücken der Stammbeschäftigten eingelöst", kritisiert jedoch Bernd Meurer, Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (bpa). Die Gegenseite sieht dies naturgemäß anders: „Zeitarbeit in der Pflege ist ein Randphänomen. Es gehen zwar auch Pflegekräfte in die Zeitarbeit, aber genauso wechseln Zeitarbeitskräfte aus der Arbeitnehmerüberlassung in Pflegeeinrichtungen“, meint Sebastian Lazay, Präsident des Bundesarbeitgeberverbandes der Personaldienstleister (BAP). Er argumentiert, dass die Reduzierung der Zeitarbeit keine einzige Pflegekraft zusätzlich schaffe. Zwang, Bevormundung und Verbote würden hier nicht weiterhelfen, so Lazay. Die Debatte geht in der Tat am Kern des Problems Pflegekraftmangel vorbei. Damit die Pflege als Arbeitsfeld wieder attraktiv wird, braucht es den oft geforderten ganzheitlichen Ansatz. Bisher sind die meisten Maßnahmen seitens Politik und Arbeitgeber Stückwerk. Das sollten die Maßnahmen der Konzertierten Aktion Pflege (KAP) besser nicht werden.

Fehlen 100.000 Fachkräfte bis 2030?    

Auf dem World Health Summit in Berlin erklärte ein Brite den Gästen, wie schlimm es im deutschen Gesundheitswesen um die Personalverfügbarkeit wirklich steht.

Dass es in Deutschland nicht genug Pflegekräfte gibt und selbst die finanzierten 13.000 Stellen nicht annähernd besetzt werden können, ist wohl weiten Teilen der Bevölkerung bekannt. Über Nachwuchsprobleme klagen aber auch nahezu alle medizinischen Fachgesellschaften. Für Disziplinen wie die Pathologie wird es immer schwieriger, Studenten von ihrem Fach zu überzeugen. Aber auch die Chirurgie, über Jahrzehnte eines der beliebtesten Felder für angehende Mediziner, klagt über Nachwuchsprobleme. Und dann können auch noch diverse Hausarztsitze nicht besetzt oder nachbesetzt werden. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) warnt bereits seit einer ganzen Weile vor einem drohenden Ärztemangel, weil neue Mediziner sich oftmals anstellen lassen oder in Teilzeit arbeiten wollen. „Mit weltweit geschätzt 18 Millionen fehlenden Fachkräften im Gesundheitswesen bis 2030 stellt die Überwindung dieses Mitarbeitermangels im Gesundheitswesen und die drohende Personalkrise die größte Herausforderung für das globale Gesundheitssystem in den nächsten zehn Jahren dar“, betonte Dr. Mark Britnell, globaler Leiter des Beratungsbereichs Gesundheitswesen bei KPMG in Berlin. Allein Deutschland brauche bis 2030 über 100.000 qualifizierte Fachkräfte im Gesundheitswesen, „um eine nationale Katastrophe abzuwenden“, so der Brite. Deutschland sei zunehmend auf Einwanderung angewiesen, um diese Lücken zu schließen. Gleichzeitig gebe es aber weltweit nicht mehr genug Personal in der Gesundheitsversorgung. Werde dieses Problem ignoriert, dann werde in eine weltweite Personalkrise hineingesteuert. Kritik übte er an kurzfristigen Lösungsansätzen, die sich nur dem bestehenden Personalbestand widmen würden. Durchgreifende Veränderungen, so Britnell, könnten durch eine Neugestaltung der Produktivitätsdebatte und klinischen Dienstleistungen, eine Veränderung nationaler Investitionsstrategien, eine Stärkung der Patienten („Patient Empowerment“) und den Einsatz von Technologien und künstlicher Intelligenz erreicht werden.

Zusatzbeitrag steigt auf durchschnittlich 1,1 Prozent    

Der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wird für das Jahr 2020 um 0,2 Prozent auf 1,1 Prozent angehoben.

Nicht nur der amtierende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn fährt eine Politik der Leistungsausweitung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Auch sein Amtsvorgänger Hermann Gröhe hat diesen Kurs eingeschlagen. Nun folgt die Quittung: Der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wird für das Jahr 2020 um 0,2 Prozent auf 1,1 Prozent angehoben. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) bezieht Stellung und erklärt: „Gewollte Verbesserungen in der Versorgung, medizinischer Fortschritt und eine höhere Nachfrage nach medizinischer Versorgung in einer älter werdenden Gesellschaft führen dazu, dass die Ausgaben stärker steigen als die Einnahmen. Vor dem Hintergrund einer sich abschwächenden Konjunkturlage ist es daher angezeigt, den durchschnittlichen Beitragssatz anzuheben, um die zu erwartenden Ausgaben zu finanzieren.“

Das BMG unterstreicht jedoch, dass trotz des Anstieg des durchschnittlichen Zusatzbeitrags Senkungen bei Krankenkassen mit zu hohen Finanzreserven ab nächstem Jahr möglich sind. „Die Finanzreserven der Kassen sind in den letzten Jahren auf über 20 Milliarden Euro gestiegen. Mehr als die Hälfte der Krankenkassen verfügt derzeit über mehr als eine Monatsausgabe Betriebsmittel und Rücklagen“, heißt es von Seiten des BMG.

Der GKV-Spitzenverband gab sich schon nach Bekanntgabe der Einschätzung des Schätzerkreises besorgt. Vorstandsvorsitzende Dr. Doris Pfeiffer erklärte: „Das kommende Jahr wird die gesetzliche Krankenversicherung insgesamt auf der Ausgabenseite vor Herausforderungen stellen, soweit teilen wir die Sicht der Experten aus dem Bundesversicherungsamt und aus dem Bundesgesundheitsministerium. Während die Experten aus dem Bundesgesundheitsministerium mit einer um rd. 1,8 Mrd. Euro niedrigeren Ausgabenprognose deutlich Spielraum für Zusatzbeitragssatzsenkungen bei einzelnen Krankenkassen durch den verpflichtenden Abbau von Finanzreserven sehen, lassen sich für uns die hohen Mehrausgaben durch Reformgesetze nicht negieren. Statt sich angesichts der Anzeichen einer eintrübenden Konjunktur und der demografischen Entwicklung zurückzuhalten, hat der Gesetzgeber eine ausgabenträchtige Reform nach der anderen aufgelegt. Viele werden ab dem kommenden Jahr schrittweise ihre Finanzwirkung entfalten. Allein durch das Terminservicegesetz und das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz kommen auf die GKV im nächsten Jahr rund fünf Milliarden Euro an Mehrausgaben zu. Durch das MDK-Reformgesetz erwartet der GKV-Spitzenverband 2020 Mehrausgaben von mindestens einer Mrd. Euro. Würden die Reserven der GKV nicht für teure Reformen ausgegeben, könnten damit Zusatzbeitragsanhebungen für Beitragszahler in den kommenden Jahren vermieden werden.“

Weitere Themen