Berlin-Chemie Newsletter vom 07. November 2017

Berlin-Chemie Newsletter vom 07. November 2017

  • Finanzausgleich: Sondergutachten kommt kaum gut an
  • KBV zu Bürokratie: Verfallsdatum für Gesetze?
  • Schlaganfall: Experten warnen vor Trend
  • GKV: Der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz sinkt
  • DAK-Pflegereport: Krankenhäuser in Pflegekompetenzzentren umwandeln?
  • DKG: Keine Angst vor Jamaika
  • BAH: Brexit führt zu teuren Doppelstrukturen und mehr Bürokratie
  • BMVZ FACHDIALOG in Düsseldorf

Finanzausgleich: Sondergutachten kommt kaum gut an

Lange wurde es herbeigesehnt: Das Sondergutachten zu den Wirkungen des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs sollte die Basis für konstruktive Reformdiskussionen bezüglich des Finanzausgleichs zwischen den Kassen werden. Die meisten Kassenarten befürchten nun aber starke Verschlimmbesserungen, sollten die Beirats-Vorschläge umgesetzt werden.

Nach sieben Monaten Bearbeitung hat der beim Bundesversicherungsamt (BVA) angesiedelte Wissenschaftliche Beirat zur Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs (RSA) sein vorläufiges Sondergutachten über die Wirkungen des morbiditätsorientierten RSA (Morbi-RSA) vorgestellt. Vorausgegangen war eine Beauftragung durch das Bundesministerium für Gesundheit. Der Beirat um den Vorsitzenden Professor Dr. Jürgen Wasem sollte nicht nur den Status quo ermitteln, sondern die Folgen und Wirkungen relevanter Vorschläge zur Veränderung des Morbi-RSA empirisch abschätzen.

Die Autoren betonen, dass der Morbi-RSA als lernendes System konzipiert wurde und die Vermeidung von Risikoselektion seine zentrale Funktion darstelle. Die Höhe und Streuung von Zusatzbeiträgen als Kennzahl zur Überprüfung der Funktionsfähigkeit des Morbi-RSA sei jedoch weitgehend ungeeignet. Den Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOKen) wird regelmäßig vorgeworfen, dass sie aufgrund ihrer „kranken Versichertenstruktur“ besonders vom Finanzausgleich profitieren würden. Die Autoren verneinen dass sich Kranke lohnen würden, liegen doch die höchsten Überdeckungen bei denjenigen Krankenkassen vor, deren Risikofaktor im Zeitverlauf am stärksten gesunken ist. Manipulationen über Upcoding wollten die Wissenschaftler zwar nicht direkt bestätigen, aber sie berichteten, dass es bei einigen Diagnosen nennenswerte Anstiege der Diagnosenennungen ab der jeweiligen RSA-Relevanz gegeben habe und somit ein geändertes Kodierverhalten wahrscheinlich erscheine. Für beeinflussende Aktivitäten der Krankenkassen gebe es zwar keine eindeutigen Beweise, aber ausreichend Belege. Zur Stärkung der Manipulationsresistenz empfiehlt der Wissenschaftliche Beirat eine weitere konsequente Berücksichtigung von Arzneimitteln im Aufgreifalgorithmus und eine weitere systematische Pflege der sogenannten Aufgreifkriterien und des hierarchischen Ansatzes der Versichertenklassifikation. Darüber hinaus spricht sich der Beirat für die Einführung ambulanter Kodierrichtlinien aus, auch wenn die Einführung einheitlicher Kodierrichtlinien eine manipulative Einflussnahme auf die Kodierung, beispielsweise auch durch Praxissoftwaresysteme, grundsätzlich nicht ausschließe.

BVA-Präsident Frank Plate erklärte in Bonn bei der Vorstellung des Gutachtens: „Nun gilt es auf Basis der Ergebnisse des Sondergutachtens den als ein lernendes System konstruierten RSA sorgsam und vernünftig weiterzuentwickeln. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die meisten Anpassungen des Verteilungsmechanismus nur auf Grundlage rechtlicher Änderungen vorgenommen werden können.“

Prof. Dr. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer, vermutet, dass die Umsetzung der vorgestellten Vorschläge vermutlich Jahre dauern würde. Die Unwucht im derzeitigen System stelle jedoch bereits heute eine Gefahr für die finanzielle Stabilität der GKV dar, so der Kassenchef. Dem könne zum Teil Abhilfe geschaffen werden, wenn Zuweisungen nicht mehr nach bundesweiten Durchschnitten erfolgen würden, sondern sich an den tatsächlichen Leistungsausgaben in den Regionen orientieren würden.

Die Berücksichtigung einer regionalen Versorgungsstrukturkomponente spielt in den Forderungen der Ersatzkassen, Betriebs- und Innungskrankenkassen bereits länger eine zentrale Rolle. Diese appellierten unlängst gemeinsam an die Politik, sich nicht durch das Gutachten zur Fortentwicklung des Risikostrukturausgleichs davon abbringen zu lassen, kurzfristige Lösungen für die sich zuspitzende finanzielle Schieflage zwischen den Kassen auf den Weg zu bringen. „Nach unserer ersten Einschätzung enthält das Sondergutachten des Wissenschaftlichen Beirats keine Lösungen, wie die finanzielle Benachteiligung der Ersatzkassen und ihrer Versicherten im Morbi-RSA kurzfristig beseitigt werden kann. Stattdessen wird ein Krankheitsvollmodell vorgeschlagen, das bereits überdeckte Kassen und Kassenarten weiter bevorteilt“, kritisierte Ulrike Elsner, Vorsitzende des Vorstands des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek).

Mit der Einführung eines „Vollmodells“, bei dem alle – statt wie bisher 80 – Krankheiten im Morbi-RSA berücksichtigt werden, würde noch mehr Geld in Richtung AOKen gelenkt werden, so das Kassenarten-Trio. Auch mache die Vielzahl der Krankheiten dann Manipulationen über Upcoding einfacher. Zudem drohen Ersatzkassen, Betriebs- und Innungskrankenkassen an, dass sich bei ausbleibenden zufriedenstellenden Reformen „wohl bald Kartellrichter um regionale AOK-Monopolisten“ kümmern müssen.

Diesen scharfen Tonfall nimmt Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes, gelassen hin. Die Autoren des Gutachtens würden einen Reformpfad beschreiben, wie der Morbi-RSA noch zielgenauer gemacht werden würde und Anreize zur Benachteiligung bestimmter Versichertengruppen weiter abgebaut werden könnten. Litsch empfiehlt der Politik ein konsequentes Fortschreiten des Weges. Der AOK-Chef wies zudem daraufhin, dass auch die noch nicht vorliegende Langfassung des Gutachtens genauer zu studieren sei. Das zweite Sondergutachten ist für Ende April 2018 zu erwarten.

KBV zu Bürokratie: Verfallsdatum für Gesetze?

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hat ihren Bürokratieindex 2017 vorgestellt. Daraus geht hervor, dass Arztpraxen fast zwei Monate jährlich in Bürokratie investieren müssen. Eine Reform mit verpflichtenden Kennzahlen soll Abhilfe schaffen.

Das Thema Bürokratieabbau ist neben der Digitalisierung das zweite Schwerpunktthema des KBV-Vorstandes Dr. Thomas Kriedel. In seiner Zeit bei der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) setzte er sich im Formularlabor für die Verschlankung mancher Prozesse ein. Ein echter Erfolg aus dieser Zeit, den sich das Labor auf die Fahnen schreiben darf, ist die Chroniker-Bescheinigung (Muster 55). Durch die Einheitlichkeit sei die Bescheinigung jetzt deutlich einfacher technisch zu verarbeiten. Rund 300.000 Arbeitsstunden soll dies im Jahr einsparen. Weitere große Erfolge kann das Formularlabor bisher kaum vorweisen. Auch Kriedel würde sich mehr bahnbrechende Veränderungen wünschen, verriet er unlängst in Berlin. Nötig sind diese zwingend, liegt die durchschnittliche Bürokratiebelastung 2017 laut KBV-Bürokratieindex je Praxis bei rund 60 Tagen pro Jahr. Gegenwärtig wenden niedergelassene Ärzte 54,16 Millionen Arbeitsstunden im Jahr für administrative Pflichten auf, heißt es im Bericht. Das entspricht einem Anstieg von 0,2 Prozent zum Vorjahr 2016 oder rund 115.000 Nettoarbeitsstunden. Eine große Mehrbelastung gebe es durch den vermehrten Aufwand bei der Verordnung von Krankenbeförderungen. So seien Krankentransporte um über zehn Prozent gestiegen und würden mittlerweile rund 51 Millionen Fälle pro Jahr umfassen.

Ein verbindliches Bürokratie-Abbauziel sollen die Koalitionäre nach Meinung der KBV in ihrem Vertrag festhalten. „Unser Ziel von 25 Prozent Bürokratieabbau muss verbindlich per Gesetz verankert werden“, betonte Kriedel. Bei Erreichen des Zieles stünden den Vertragsärzten und -psychotherapeuten pro Jahr zusätzlich 13 Millionen Stunden für die Versorgung ihrer Patienten zur Verfügung. „Während an einer Stelle erfolgreich Bürokratie abgebaut wird, entstehen an anderer Stelle neue Belastungen“, so Kriedel in Berlin. Die vielen gesundheitspolitischen Reformen der letzten Legislatur haben das Gesetzesdickicht dichter werden lassen. Kriedel wünscht sich deshalb, dass es Regulierungsnormen mit Verfallsdatum geben sollte und nach einem bestimmten Zeitraum ein Prüfauftrag für Gesetze zu formulieren sei.

Schlaganfall: Experten warnen vor Trend

Die Versorgung und Behandlung von Schlaganfallpatienten ist dank zertifizierter Zentren und neuer medizinischer Möglichkeiten so gut wie noch nie zuvor. Experten der Deutschen Schlaganfallgesellschaft (DSG) warnten anlässlich des Welt-Schlaganfall-Tages jedoch vor vermeidbaren Schlaganfällen in einer Altersgruppe, welche für diese Erkrankung eher untypisch ist.

„Der Schlaganfall ist schon eine Alterserkrankung“, so Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Schäbitz, DSG-Pressesprecher und Chefarzt an der Klinik für Neurologie am Evangelischen Krankenhaus Bielefeld-Bethel. Dennoch gebe es etliche jüngere Patienten der Altersgruppe 18 bis 55 Jahre, die wegen eines juvenilen Schlaganfalls behandelt werden müssten. Etwa 260.000 bis 270.000 Menschen erleiden jährlich in Deutschland einen Schlaganfall. Er ist die dritthäufigste Todesursache und der häufigste Grund für Behinderungen im Erwachsenenalter. Von den Betroffenen eines juvenilen Schlaganfalls kehren nur etwa 40 Prozent an ihren Arbeitsplatz zurück - etwa ein Drittel bleibt sogar dauerhaft berufsunfähig. Offizielle Erhebungen zu Deutschland gibt es bisher nicht. In amerikanischen Kliniken behandelte Schlaganfälle dieser Altersgruppe nehmen seit 1995 jedoch kontinuierlich zu, in der Altersgruppe der 35- bis 44-jährigen Männer sogar um 41,5 Prozent, bei Frauen immerhin noch um 30 Prozent. Viele Schlaganfälle sind vermeidbar, werden Gefäßerkrankungen häufig durch hohen Blutdruck, Diabetes, Rauchen oder Übergewicht ausgelöst. Nur circa 10 bis 15 Prozent der juvenilen Schlaganfälle seien auf seltene Ursachen wie Gefäßentzündungen, Gerinnungsstörungen und Stoffwechselstörungen zurückzuführen, so die DSG.

In Berlin wurde der DSG-Vorstand nicht müde zu betonen, dass Deutschland in der Akutversorgung von Schlaganfallpatienten weltweit ganz vorne mitspiele. Dies liege vor allem an den inzwischen 307 zertifizierten Stroke Units in Deutschland. Seit knapp drei Jahren darf in Deutschland die mechanische Thrombektomie angewendet werden. „Die Thrombektomie kann schwere Behinderungen nach einem Schlaganfall verhindern, da verstopfte Hirnarterien mittels eines Mikrokatheters von einem großen Blutgerinnsel befreit werden“, erläutert Prof. Dr. Darius Nabavi, Vorsitzender der Stroke-Unit-Kommission der DSG und Chefarzt der Klinik für Neurologie am Vivantes Klinikum Neukölln in Berlin. Aktuell dürfen 450 Neurointerventionalisten in Deutschland an etwa 140 Standorten eine Thrombektomie (MTE) durchführen, eine fast flächendeckende Versorgung. 2016 wurden in Deutschland etwa 7000 MTE durchgeführt. „Wir werden künftig noch mehr Zentren haben, aber die Anzahl wird sich nicht mehr verdoppeln. Mindestfallzahlen sind ein großes Thema. Wir haben keine Zahlen festgelegt, aber 50 Fälle pro Jahr sollten es schon sein.“ Die Kombination von systemischer Lyse, also der Medikamentenzufuhr, und der Katheterbehandlung (MTE mechanische Thrombektomie), habe das Outcome deutlich verbessert, so Prof. Dr. Martin Dichgans, 1. Vorsitzender der DSG und Direktor des Instituts für Schlaganfall- und Demenzforschung (ISD) am Klinikum der Universität München.

Zur Sicherung der Ausbildung und Qualität neurointerventioneller Verfahren arbeitet die DGS gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie und der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie an der Entwicklung und Zertifizierung neurovaskulärer Netzwerke (NVN). Hierbei soll die Zusammenarbeit eines großen neurovaskulären Zentrums mit kleineren Stroke Units gefördert werden.

GKV: Der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz sinkt

Die Krankenkassen hatten davor gewarnt, die gute finanzielle Situation der Gesetzlichen Krankenversicherung als Anreiz für eine Entlastung der Versicherten zu nutzen. Der Gesetzgeber macht dieses politische Geschenk trotzdem und senkt den durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz in der GKV für das Jahr 2018 auf 1,0 Prozent.

Der GKV Spitzenverband schaffte es nicht, eine überzeugend düstere Zukunftsprognose für 2018 zu schaffen, also wird der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) um 0,1 Prozentpunkte auf 1,0 Prozent abgesenkt. Für die Versicherten ändert sich dadurch allerdings zunächst nicht, dann den individuellen Zusatzbeitragssatz einer Krankenkasse legt das jeweilige Unternehmen selbst fest. Der Schätzerkreis, bestehend aus Experten des Bundesministeriums für Gesundheit, des Bundesversicherungsamtes und des GKV-Spitzenverbandes, konnte keine einvernehmliche Prognose über die Ausgabenentwicklungen im laufenden und im nächsten Jahr treffen. Einigkeit konnte hingegen bei der Schätzung der Einnahmen und der Versicherten-/Mitgliederentwicklungen getroffen werden. Für das endende Jahr 2017 wurden die Einnahmen des Gesundheitsfonds seitens der Experten auf 216,0 Milliarden Euro geschätzt. Dabei wurde der Bundeszuschuss in Höhe von 14,5 Mrd. Euro abzüglich des Anteils für die landwirtschaftliche Krankenkasse berücksichtigt. Die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds betragen entsprechend der rechtlichen Vorgaben unverändert 214,7 Mrd. Euro. Bei der Schätzung der Ausgaben liegt der GKV-Spitzenverband mit 227,2 Milliarden Euro rund 800 Millionen Euro über der Schätzung des BMG und des BVA.

Für das kommende Jahr geht der Schätzerkreis insgesamt von Einnahmen in Höhe von 222,24 Milliarden Euro aus. Der Bundeszuschuss bleibt unverändert bei 14,5 Milliarden Euro, abzüglich des Anteils für die landwirtschaftliche Krankenkasse. Dem werden die voraussichtlichen Ausgaben der Krankenkassen von 236,15 Milliarden Euro gegenübergestellt. Die Finanzreserven der Krankenkassen fließen in diese Rechnung nicht ein. Der GKV-Spitzenverband hatte in den Beratungen Ausgaben in Höhe von 237,3 Milliarden Euro für 2018 genannt.

DAK-Pflegereport: Krankenhäuser in Pflegekompetenzzentren umwandeln?

Der aktuelle Pflegereport der DAK-Gesundheit zeigt, dass die am besten geeignete Wohnform für Demenzkranke Wohngruppen sein könnten. Darin wohnt aber nur ein Bruchteil der Betroffenen. Die Kasse schlägt vor, überflüssige Krankenhäuser in Pflegekompetenzzentren umzuwandeln.

In den vergangenen Jahren ist die Versorgung dementer Menschen in den Vordergrund gerückt worden. Eine Umfrage im Pflegereport 2017 der DAK-Gesundheit zeigt, dass jeder Fünfte Wohngruppen für die beste Betreuungsform Demenzkranker hält. Von den rund 1,6 Millionen Menschen mit Demenz in Deutschland leben jedoch nur knapp zwei Prozent in Wohngruppen. Knapp jeder vierte Befragte hat schon Angehörige mit Demenz begleitet, die zu 69 Prozent in ihrem eigenen Zuhause lebten. Aber nur 35 Prozent der Befragten glauben, dass dies auch der beste Platz für Demenzkranke ist. 22 Prozent halten ambulant betreute Wohngruppen für die bessere Alternative. Diese Form der Betreuung ist allerdings nur in wenigen Regionen verfügbar. Darüber hinaus nennen 16 Prozent gute Pflegeheime und 13 Prozent den Haushalt von Angehörigen.

Die DAK hat sich daher überlegt, dass Krankenhäuser, die nicht mehr benötigt werden, in Pflegekompetenzzentren umgewandelt werden könnten. Gut, sollte die Realisierung der Idee wirklich ins Auge genommen werden, dann wird es wohl großen Widerstand seitens der Deutschen Krankenhausgesellschaft geben. Von überflüssigen Krankenhäusern will die eben nichts wissen. Die Stärkung der Pflege im ländlichen Raum ist allerdings so oder so ein Thema, dem sich der 19. Deutsche Bundestag die nächsten vier Jahre befassen werden muss. In solchen Pflegekompetenzzentren sollen Angebote, von Beratung über spezialisierte Wohngruppen bis Kurzzeitpflege, unter einem Dach gebündelt werden. Und alles steht unter dem Motto „Sektorengrenzen überwinden“. Die Grenzen wären in diesem Fall ambulante Pflege, Geriatrie und Pflegeheimen.

Auch äußerten die Befragten den Wunsch nach mehr Unterstützung. Mit 86 Prozent Zustimmung stand der Wunsch nach mehr finanzieller Hilfe an erster Stelle. 66 Prozent fänden es zudem hilfreich, wenn sie durch professionelle Dienste unterstützt werden würden. Aber: „Fast jeder zweite der Befragten mit dementen Angehörigen hält ein gutes Leben mit Demenz durchaus für möglich“, so DAK-Vorstandschef Andreas Storm. Immerhin.

DKG: Keine Angst vor Jamaika

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) hat Forderungen an den künftigen Gesetzgeber formuliert und in Berlin vorgestellt. Bei den Wünschen und Hoffnungen stehen vor allem stärkere Investitionen in die Krankenhauslandschaft sowie spezifischere Zusatzprogramme im Mittelpunkt.

Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der DKG, hat keine Angst vor der Jamaika-Koalition. Im Gegenteil. Baum hofft auf einen Aufbruch, wünscht und erwartet einen Schub bei den Investitionen. Vertauschte Rollen gab es dieses Mal in Berlin. Normalerweise ist er, Baum, es, der den Krankenhäusern bei ausbleibenden Reformen eine düstere Zukunft prognostiziert. „Ich glaube nicht, dass in den nächsten Jahren bei den Ländern riesige Schritte erfolgen werden. Ja, die Länder sind in der Verantwortung und müssen den Hintern hochbekommen“, betonte dieses Mal DKG-Präsident Thomas Reumann mit Blick auf den Investitionsstau im Krankenhaussegment. Die DKG legte in Berlin großen Wert darauf zu betonen, dass Krankenhäuser, ähnlich wie Schulen, als unverzichtbarer Teil der Infrastruktur Deutschlands verstanden werden müssten. Gut, die Ausstattung vieler Schulen ist ebenfalls veraltet und viele Gebäude sind marode. Vor wenigen Tagen forderte der Deutsche Lehrerverband seinerseits zehn Milliarden Sanierungszuschuss für heruntergekommene Schulen. Auch die DKG hat klare Vorstellungen geäußert, wie viel Geld die Krankenhäuser in Deutschland zusätzlich brauchen. „Wir brauchen rund 1,4 Milliarden Euro, also zwei Prozent der rund 70 Milliarden Euro Krankenhausausgaben, allein für die laufenden Software-Kosten, um uns vor Cybercrime schützen zu können“, so Baum. Weil die technischen Anforderungen an die Telematik-Infrastruktur hoch sind, braucht es auch in den Kliniken neue Hardware. Um diese Ausgaben stemmen zu können, brauche es laut DKG einen Digitalisierungsvorschlag als Sonderinvestitionsprogramm des Bundes. Im Detail sieht die DKG den Bedarf für die nächsten fünf Jahre jährlich bei einer Milliarde Euro. Auch soll der neue Gesetzgeber im Koalitionsvertrag verankern, dass ein gemeinsamer Weg mit den Bundesländern zu suchen ist, um die Investitionslücken endlich zu schließen, so die DKG.

Zu den verwandten Themen Personalsicherung und Fachkräftemangel äußerte sich die DKG ebenfalls ausführlicher. Reumann bezeichnete es als Mythos, dass die Krankenhäuser Personal abbauen wollen würden. „Wir haben 10.000 finanzierte Pflegestellen in den Krankenhäusern, die wir nicht besetzen können.“ Die starren und unflexiblen Personalvorgaben hätten dieses Problem verursacht und verschärft. Zudem forderte die DKG für den Koalitionsvertrag einen Vermerk darüber, dass Kliniken, die ausbilden, durch den Anrechnungsschlüssel von 9,5 Auszubildenden auf eine Vollkraft nicht länger belastet werden dürfen, so Reumann. Immer relevanter bei Personaldebatten wird das Thema Bürokratie. „Pro Tag verbringt ein Arzt vier Stunden mit bürokratischen Tätigkeiten, eine Pflegekraft drei Stunden. Zeit, die für die Pflege und die ärztlichen Leistungen fehlt", so Reumann. Ausnahmsweise sind DKG und Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) bei einem Thema einer Meinung. Die KBV forderte unlängst eine Senkung der Bürokratie von 25 Prozent innerhalb der nächsten fünf Jahre. Die DKG schloss sich dieser Forderung an. Viele der Instrumente und das Abrechnungswesen seien mit enormem bürokratischem Aufwand verbunden.

BAH: Brexit führt zu teuren Doppelstrukturen und mehr Bürokratie

Großbritannien wagt endgültig den Schritt aus der Europäischen Union. Dies hat Folgen für nahezu alle europäischen Strukturen. Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller hat nun ein Bild über die Folgen für die Pharma-Branche gezeichnet. Und das Bild ist bunt.

Großbritannien wird zum 30. März 2019 aus der EU ausscheiden und damit für die EU-Mitgliedstaaten zu einem Drittland werden. Über die Abwicklung des Austritts herrscht vielerorts noch Unklarheit. Für die Wirtschaft braucht es vor allem pragmatische Lösungen, ist Großbritannien für viele Länder ein sehr wichtiger Handelspartner. Das Statistische Bundesamt berichtet so zum Beispiel, dass 2016 deutsche Arzneimittel-Hersteller Waren im Wert von 6,3 Milliarden Euro nach Großbritannien exportiert und im Wert von 2,2 Milliarden Euro importiert haben.

Gerade beim Im- und Export von Arzneimitteln erwartet Dr. Elmar Kroth, Geschäftsführer Wissenschaft beim Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e.V. (BAH), größere Beeinträchtigungen. Hersteller müssten künftig zusätzliche Zertifikate und Unterlagen nachweisen, wenn sie Wirkstoffe oder Arzneimittel in Großbritannien ein- oder ausführen möchten. „Sollte es keine gegenseitige Anerkennung der Zertifikate geben, rechne ich mit Exportausfällen und Handelsverzögerungen", so Kroth.

Deutschen Herstellern drohen zudem teure Doppelstrukturen. Weil sie ihren Firmensitz in der EU haben, müssten sie bei Handelsinteresse extra eine Niederlassung in Großbritannien eröffnen, was folglich personellen und finanziellen Mehraufwand.

Die Folgen für klinische Prüfungen sind hingegen deutlich schwerer abzusehen. In Europa wird hierzu voraussichtlich 2019 eine neue Verordnung in Kraft treten, auf die sich bereits alle EU-Staaten geeinigt haben. Erkennt Großbritannien nach dem Brexit das gemeinsam erarbeitete Verfahren an, droht wenig Ungemach. Falls nicht, wären laufende klinische Prüfungen nicht mehr rechtsgültig. Dann könnte es passieren, dass Hersteller neue Genehmigungen beantragen müssten, damit die Studien fortgeführt werden können, so Kroth.

BMVZ FACHDIALOG in Düsseldorf

Unter dem Titel Ambulant am Krankenhaus findet am 15. November 2017 im Rahmen des 40. Deutschen Krankenhaustag ein BMVZ-Fachdialog statt. Schwerpunktmäßig findet das Seminar Antworten auf Fragen der Zusammenarbeit von Krankenhaus und trägergleichem MVZ.

Die Konstellation, in der ein Krankenhaus mit einem trägergleichen Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) zusammenarbeitet, ist nicht selten und bringt spezielle Herausforderungen mit sich. So stellt die bestehende Sektorenschranke zum Beispiel im Datenschutz eine kniffelige Barriere dar. Eine ebenfalls zu diskutierende Frage ist ‚was darf ich wann wie?‘, wenn der behandelnde Arzt zugleich im Krankenhaus und MVZ arbeitet. Mindestens ebenso spannend wie sensibel ist das Thema ‚Korruption‘ unter dem Stichwort ‚Trägergleiche Kooperation‘.

Diskutieren Sie mit! Der BMVZ Fachdialog zeichnet sich durch seinen hohen Praxisbezug aus. Die Fachreferenten wissen genau, von was sie sprechen, ist doch das Arbeiten an dieser besonderen ambulanten-stationären Nahtstelle Zentrum ihres täglichen Tuns. Die Veranstaltung findet am 15. November 2017 im Rahmen des 40. Deutschen Krankenhaustages zeitgleich zur Medica im Congress Center Düsseldorf von 10 bis 13 Uhr statt.

Weitere Informationen zur Veranstaltung, dem Programm & den Referenten unter www.bmvz.de 

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