Berlin-Chemie Newsletter vom 16. September 2019

Berlin-Chemie Newsletter vom 16. September 2019

  • Wo landet der Sicherstellungsauftrag für die ambulante
    Notfallversorgung?
    Die integrierten Notfallzentren werden abgelehnt
  • Ambulant & stationär: Fachärzte machen Vorschläge
    Einheitlicher, effizienter, entschlossen?
  • Robotik: „Unendlich viel komplizierter“
    Ein Ethiksiegel aus Deutschland?
  • Regulierung für die Intensivpflege
    Was bedeutet das RISG für die Patienten?
  • Die Finanzreserven der gesetzlichen Krankenkassen sinken
    Reformflut lässt Kosten steigen
  • SPD will die Pflegebürgerversicherung
    Solidarität ist das große Stichwort in der Positionierung
  • Aggressive Keime im OP
    OP-Raum-Tagung zeigt Lücken im Infektionsschutz auf
 

Wo landet der Sicherstellungsauftrag für die ambulante Notfallversorgung?    

Das Bundesministerium für Gesundheit will den Notdienst aus dem Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen (KBV) ausgliedern und den Ländern übertragen. Den Krankenhausdirektoren gefällt es. Die Ärzte- und Kassenvertreter zeigen kein Verständnis dafür. Ein Machtkampf.

Rund 20 Millionen Fälle der ambulanten Notfallversorgung gibt es jedes Jahr in Deutschland. Und um deren künftige Versorgung wird gezankt. Die Ärztevertreter lehnen den Diskussionsentwurf zur Reform der ambulanten Notfallversorgung nicht im Ganzen ab. Im Gegenteil: Viele Aspekte finden sie sogar gut und notwendig, weil das Terminservice- und Versorgungsstärkungsgesetz zum Beispiel im Bereich integrierte Notfallzentren (INZ) einige Unklarheiten besitzt. Doch vor einem zentralen Anliegen des Papiers warnen sie vehement. Im aktuellen „Diskussionsentwurf“ zur Notfallreform plant das Bundesgesundheitsministerium den Sicherstellungsauftrag zu den sprechstundenfreien Zeiten von den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) an die Länder zu übertragen – per Änderung des SGB V § 75 Abs. 2. Nach aktuellem Recht sind über 170.000 Vertragsärzte- und -psychotherapeuten durch ihre KVen auch außerhalb der normalen Praxisöffnungszeiten von 8 bis 18 Uhr zum Bereitschaftsdienst verpflichtet – dazu gleich mehr.

Die angedachten INZ kommen weder bei Kassen- noch bei den Ärztevertretern gut an. Nach dem Diskussionsentwurf müsste dann auch für die geplanten INZ ein neues Konzept her, denn die KVen könnten nach dem Entwurf weder die Ärzte für den Betrieb organisieren, noch würden ihnen Gründe zur finanziellen Beteiligung fehlen. „Die Notfallversorgung als eigenständigen dritten Sektor zu etablieren, schafft keine Verbesserung, sondern nur neue Schnittstellen sowie zusätzlichen Koordinierungs- und Finanzierungsbedarf“, meint etwa KBV-Chef Dr. Andreas Gassen. Einen dritten Sektor Notfallversorgung lehnen eigentlich fast alle ab. Es würde viel kosten, Fachpersonal gibt es dafür auf dem leergefegten Arbeitsmarkt kaum und eine dritte Versorgungsebene wäre auch ein dritter Berg an Bürokratie. Der erste Vorsitzende des Marburger Bunds (MB), Dr. Rudolf Henke, lehnt die INZ schon deshalb ab, weil dies ein Eingriff in die Organisationshoheit der Krankenhäuser wäre. Als Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestages wird er dies seinen Kollegen sicher bereits erzählt haben. Der GKV-Spitzenverband setzt ebenfalls auf den gemeinsamen Tresen, den KBV und MB ins Spiel gebracht haben. Vorständin Stefanie Stoff-Ahnis spricht von einer „einfachen und patientenfreundlichen Lösung“. Nach Meinung des Spitzenverbandes soll der Sicherstellungsauftrag bei den KVen bleiben und Rund-um-die-Uhr-KV-Notdienstpraxen an ausgewählten Krankenhäusern eingerichtet werden. Wer am Ende am gemeinsamen Tresen, den zentralen Anlaufstellen, sitzen soll, ist bislang ungeklärt. Gegen eine qualifizierte Ersteinschätzung des Hilfsbedarfs durch gemeinsame Notfallleitstellen sperren sich die Krankenhäuser nicht, aber bei der Ausgestaltung sehen sie noch Diskussionsbedarf. Der KBV-Vorstand warnt zudem davor, dass die Länder nach dem BMG-Vorschlag das gesamte Regelwerk des Bereitschaftsdienstes neu erstellen müssten. Dies könne im schlechtesten Fall zu 16 eigenständigen Regelungen führen. Das kann von niemandem gewollt sein. „Die Krankenhäuser wollen den Sicherstellungsauftrag über die Länder, aber haben keine Ärzte. Wenn ich höre, dass Krankenhäuser vom Notstand sprechen, dem abgeholfen werden muss, dann frage ich mich, wie die mit zehn Millionen Patienten aus dem ärztlichen Bereitschaftsdienst klarkommen wollen“, so äußerte sich Gassen kürzlich. Da rund die Hälfte der stationären Aufnahmen aus den jeweiligen Notaufnahmen generiert würden, seien die Krankenhäuser nur an der nachhaltigen Zementierung dieses Zustandes interessiert, kritisiert Ärzte-Multifunktionär Dr. Dirk Heinrich das Begehren der Krankenhäuser nach dem Sicherstellungsauftrag. Die Vertragsärzte versuchten sich unlängst noch an einer anderen Argumentationslinie: Wenn den KVen der Sicherstellungsvertrag weggenommen werde, dann wolle man ihn aber später auch nicht wiederbekommen, hieß es unlängst seitens der KBV. Für die Ärzte wäre dies zu begrüßen, so KBV-Vize Dr. Stephan Hofmeister, weil diese dann keine Bereitschaftsdienste mehr leisten müssten und mehr Freizeit hätten. „Die Trennung von einer KV-verwalteten Notfallambulanz und einem Bereich für klinische Notfälle in Krankenhausverantwortung geht wunderbar an gemeinsamen Standorten in Krankenhäusern, braucht aber klar getrennte Verantwortlichkeiten. Wir hoffen sehr, dass das Notfallgesetz den mit dem TSVG begonnenen Weg nicht über den Haufen wirft“, so Hofmeister.

Und was sagen die Krankenhausvertreter zu all den Drohgebärden und Vorwürfen?
Sie wollen die KVen lieber gar nicht einbinden. Dass zu gründende INZ in den Kliniken gemeinsam von Krankenhaus und KV betrieben werden sollen, so sieht es der Entwurf vor, sei ein Systembruch, so die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG). „Die Einbeziehung der KVen ist sachlich nicht begründet“, meint DKG-Präsident Dr. Gerald Gaß. Die Krankenhäuser könnten die Zentren wie ihre aktuellen Notfallambulanzen alleine betreiben und die bestehenden Kooperationen mit niedergelassenen Ärzten fortführen. Die DKG fordert, dass alle bisherigen Notfallkrankenhäuser INZ erhalten. Außerdem sollten die Länder befugt werden, weitere Krankenhäuser mit Ausnahmegenehmigungen zu versehen. Der Erhalt fast aller Krankenhäuser wäre damit wohl gesichert; ein Ziel aus dem Gutachten des Sachverständigenrats, die Krankenhausstrukturen zu verschlanken und Kompetenzen zu bündeln, wäre damit konterkariert. Mit einer etwas anderen Sicht kommt ein Managementverband daher: Der Verband der Krankenhausdirektoren Deutschlands (VKD) will die KVen zwar auch auf keinen Fall als gleichberechtigten (Zwangs-)Partner haben, denkt jedoch, dass eine flächendeckende Einrichtung integrierter Notfallzentren an allen Krankenhäusern kaum zu finanzieren sein dürfte und eine partielle Verbreitung keine Entlastung von Bagatellfällen bringen würde. Der VKD fordert, den Sicherstellungsauftrag sowie die Vereinbarungskompetenz für die ambulante Notfallversorgung den Krankenhäusern zu übertragen.
Die Finanzierung ambulanter Notfälle dürfe künftig auf keinen Fall über die KVen abgewickelt werden, weil die Krankenhäuser dann wie „Aushilfsdienstleister“ bezahlt würden, fordert der Verband zudem. Die Abrechnung solle lieber direkt mit den Kassen erfolgen.
Es bleiben viele Baustellen. Es bleibt aber auch spannend.

Ambulant & stationär: Fachärzte machen Vorschläge    

Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur sektorenübergreifenden Versorgung arbeitet an einer Ausgestaltung der ersten Eckpunkte zur Versorgung an der Schnittstelle ambulant und stationär. Der Spitzenverband der Fachärzte in Deutschland hat eigene Vorstellungen formuliert.

Die Sektorengrenzen sollen, nein müssen sogar, überwunden werden, fordern Gesundheitspolitiker periodisch. Dass es eine engere Zusammenarbeit und mehr Flexibilität braucht, verdeutlichen unter anderem der zunehmende Mangel an Fachpersonal, fehlende Arztzeit und vermeidbare Kosten durch überflüssige Klinikeinweisungen. Im SGB V befinden sich zwischen §§ 115 und 122 einige Regelungen zur sektorenübergreifenden Versorgung – etwa zur ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) oder der belegärztlichen Versorgung. Kurz gesagt zu allem, das entweder nicht mehr oder noch nie wie ursprünglich beabsichtigt funktioniert hat. Der Spitzenverband der Fachärzte in Deutschland (SpiFa) schlägt nun vor, alle bisherigen Regelungen in einem neuen § 115 „Intersektorale Leistungen“ zusammenzufassen und auch alle stationären Fälle einzubeziehen, die eine Liegedauer im Krankenhaus von vier Tagen nicht überschreiten. Für eine stationäre Behandlung braucht es nach SpiFa-Vorschlag eine medizinische Begründung. Nach Vorstellung des Verbands soll der neu geordnete Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) künftig die stationären Fälle überprüfen und bewerten, ob diese auch hätten ambulant erbracht werden können. Das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) soll zusammen mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss und seinen Regelungen bezüglich Umsetzung und Qualitätsvorgaben aus der stationären Versorgungsebene einen Katalog intersektoraler Leistungen erstellen, der über Erkrankungen entsprechend dem DRG-System und nicht über Leistungen definiert wird. Darüber hinaus gelte der Verbotsvorbehalt, wonach alle Leistungen erbracht werden können, die der G-BA nicht ausdrücklich vom Versorgungsbereich ausnimmt. Im Mittelpunkt der SpiFa-Überlegungen steht: Eine Leistung, eine Qualität, ein Preis. Die Vergütung soll unmittelbar durch die Krankenkasse an den Leistungserbringer stattfinden und vorher durch GKV-Spitzenverband, Deutsche Krankenhausgesellschaft und Kassenärztliche Bundesvereinigung vereinbart werden.

Auch das Eckpunktepapier der Bund-Länder-Arbeitsgruppe schlägt vor, einen gemeinsamen fachärztlichen Versorgungsbereich zu definieren, in welchem niedergelassene Ärzte und Krankenhäuser unter identischen Rahmenbedingungen und identischer Vergütung Leistungen erbringen. Eine flexiblere und ressourcenschonende Erbringung ambulanter Leistungen könne laut Eckpunktepapier auch die Ärzte und Pflegekräfte in den Krankenhäusern entlasten.

Robotik: „Unendlich viel komplizierter“    

Auf dem Demografiekongress 2019 in Berlin standen Künstliche Intelligenz und Robotik im Mittelpunkt – immer mit Blick auf ethische Fragen.

Ethik, die Frage nach den Handlungsnormen, wenn Handlungsentscheidungen getroffen werden müssen. In der Medizin steht die Ethik vor gänzlich neuen Herausforderungen. Die grundlegenden Werte der Medizinethik – das Wohlergehen des Menschen, das Verbot zu schaden und das Recht auf Selbstbestimmung – sind weiterhin essentiell wichtig. Der medizinische Fortschritt stellt Institutionen, die sich mit diesen Fragen beschäftigen, auch vor neue Herausforderungen. War die Medizin bisher vorrangig reagierend – Patient erkrankt, Heilung/Linderung wird angestrebt – wird sie zunehmend proaktiver und präventiver. Zentrale Themen sind hierbei die Reproduktionsmedizin, Gentherapien (vor allem mit der Genschere CRISPR), Künstliche Intelligenz und Robotik.

Auch heute schon sind wir von Algorithmen und komplexen Rechenprozessen umgeben. Das Navigationsgerät im Auto, die Sprachsteuerung im Handy oder Fernseher und passgenaue Werbeanzeigen für Internetnutzer. Software und Datenbanken sind überall im Einsatz. „In Zukunft wird alles Künstliche Intelligenz verwenden“, meint Dr. Norbert Reithinger, Leitender Wissenschaftler am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI). Bereits im Jahr 1988 wurde das Zentrum, das in diverse nationale und internationale Projekte eingebunden ist, gegründet. „Wir fördern die Künstliche Intelligenz schon lange. In der Grundlagenforschung gehören wir zu den Spitzenreitern“, so Thomas Rachel, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Forschung und Bildung. Es müsse aber auch darum gehen, die Erkenntnisse aus der Forschung viel früher in die Städte und in die Regionen zu tragen. Künstliche Intelligenz werde ein Treiber von Veränderungen sein, so Rachel weiter. „Mit Hilfe von KI und Robotik können ältere Menschen so unterstützt werden, dass sie länger in ihrem häuslichen Umfeld bleiben können. Die Zahl der Pflegebedürftigen wird auf rund 4,5 Millionen im Jahr 2050 steigen.“ Im Dezember 2018 bezogen noch 3,41 Millionen Menschen Leistungen der Pflegeversicherung. Dass zeitnah ein halbwegs intelligenter Haushaltsroboter alten Menschen beim Einräumen des Geschirrspülers hilft, ihnen die Schuhe bindet oder sie aus dem Sessel hebt und zum Bett begleitet, ist noch unwahrscheinlich. An den Rechenprozessen scheitert dies nicht. Eine große Herausforderung sei es, die digitalen Leistungen in die physikalische Praxis zu übertragen, so Prof. Dr. Sami Haddadin, Lehrstuhl für Robotik und Systemintelligenz an der Technischen Universität München und einer der führenden deutschen Robotik-Experten. „Die reale Welt ist unendlich viel komplizierter als die digitale. Roboter ersetzen aber niemanden; sie sind ein Werkzeug“, so der Sohn eines jordanischen Arztes weiter. „Wir müssen unsere ethischen und moralischen Grundsätze ins Zentrum stellen, aber auch verstehen, dass Technologie eine Lösung ist. Vielleicht wird es möglich sein, ethische und moralische Vorstellungen in Algorithmen abzubilden. Eine Technologie wird aber nie ethisch sein, aber wir können dafür sorgen, dass Technologie ethisch und nach unseren Vorstellungen eingesetzt wird“, so Haddadin.

Der internationale Konkurrenzdruck im Bereich KI und Robotik ist groß – und Deutschland ein vergleichsweise kleiner Player. Bis allerspätestens 2030 will China endgültig zur High-Tech-Nation aufsteigen und die USA als führende KI-Nation ablösen. Während die Bundesregierung im Rahmen ihrer „Nationalen Strategie für Künstliche Intelligenz“ bis 2025 drei Milliarden Euro investiert, stellt allein die chinesische Hafenstadt Tianjin – 14 Millionen Einwohner – in einem Fonds für die KI-Industrie 16 Milliarden US-Dollar zur Verfügung. „Der Wohlstand in China ist ein ganz anderer als hier. Dort kommt man aus einer hungrigen Phase und setzt Prioritäten anders. China hat, trotz berechtigter Big Brother-Diskussion, einen gewaltigen Vorteil durch die Verfügbarkeit von Daten“, so Haddadin weiter. Neben dem Mehr an Daten gibt es durch die gewaltigen Populationsunterschiede auch Vorteile bei der Anzahl der Arbeitskräfte in den Bereichen Programmierung, Data Science und Ingenieurswesen. Dass Deutschland durch die ausführlichen Ethikdebatten einen Nachteil hat, glaubt Prof. Dr. Alena Buyx, Direktorin des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Technischen Universität München, nicht. „‘Ethic made in Germany‘ muss nicht etwas Negatives sein. Es kann etwas Positives in der Vermarktung sein, weil es Vertrauen schafft. Ich bin keine Unternehmerin, aber ich erwarte, dass wir damit einen Vorteil haben“, so die Humanmedizinerin und Soziologin. Kommt also ein Ethik-Produktsiegel? Abwarten!

Regulierung für die Intensivpflege    

Das Reha- und Intensivpflegestärkungsgesetz (RISG) soll Fehlanreize zur Langzeitbeatmung abschaffen, doch es droht auch eine Versorgungsverschlechterung.

Mit dem Referentenentwurf eines „Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz – RISG“ will Bundesgesundheitsminister Spahn wie berichtet gegen Fehlanreize und
-versorgungen in der außerklinischen Intensivpflege vorgehen. Insbesondere ambulante 1:1-Versorgungen in häuslichen Pflegesettings stehen damit auf dem Prüfstand. Erreichen will das BMG diese Ziele, indem Leistungen der außerklinischen Intensivpflege künftig „regelhaft in vollstationären Pflegeeinrichtungen“, die Leistungen nach § 43 SGB XI erbringen, oder „in speziellen Intensivpflege-Wohneinheiten, die strengen Qualitätsanforderungen unterliegen“, erbracht werden. Eigenanteile der Versicherten, die diese zur Inanspruchnahme vollstationärer Pflegeeinrichtungen zu leisten haben, sollen „erheblich reduziert“ werden.

Zuspruch für das Gesetzesvorhaben kommt von der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). „Wir unterstützen diese wichtige Initiative und fordern den Bundesgesundheitsminister auf, Vertreter der Intensivmedizin jetzt in die Ausgestaltung des Gesetzes miteinzubeziehen“, sagte Professor Uwe Janssens, Präsident der DIVI. Auch die Deutsche Interdisziplinäre Gesellschaft für Außerklinische Beatmung (DIGAB) begrüßt den Gesetzesentwurf. Die extreme Zunahme der Fälle mit invasiver Beatmung über Tracheostoma in den vergangenen zehn Jahren sei überwiegend auf Patienten zurückzuführen, die an der Beatmungsentwöhnung nach Akut-Intensivtherapie gescheitert sind. „Die Analyse einer großen Krankenkasse hat gezeigt, dass ca. 85% der betroffenen Patienten direkt von Akut-Intensivstationen in den ambulanten Bereich entlassen werden“, heißt im gemeinsamen Positionspapier der DIGAB und DIVI, die mit anderen Fachgesellschaften zusammen schon lange auf die Problematik aufmerksam machen.
Dr. Jens Geiseler, Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), erklärte zudem: „Aktuelle Erhebungen unter den Weaningzentren der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin im Rahmen des Kompetenznetzwerks Weannet und andere Daten zeigen, dass etwa 60 bis 70 Prozent der Patienten, die auf Akut-Intensivstationen nicht von der Beatmung entwöhnt wurden, doch noch ein erfolgreiches Weaning erreichen können, wenn sie in einem spezialisierten Weaningzentrum betreut werden.“ Darauf verwies auch Franz Knieps, Vorstand des BKK Dachverbandes, und begrüßte die Gesetzesinitiative. Er sagte aber auch: „Klar muss aber auch sein, dass die neuen Regelungen das Recht auf Selbstbestimmung bei der Wahl des Versorgungsortes nicht einschränken, hier muss der Gesetzestext noch einmal präzisiert werden.“

Die Finanzreserven der gesetzlichen Krankenkassen sinken    

Die Rücklagen der gesetzlichen Krankenversicherungen sind zur Jahreshälfte 2019 auf 20,8 Milliarden Euro gesunken. Das ist immer noch komfortabel und das Defizit kein größeres Problem.

Beim Lesen von Gesetzesentwürfen aus dem Bundesministerium für Gesundheit fällt auf: Es gibt einen Teil, in dem die erwarteten zusätzlichen Kosten geschätzt werden. Es fehlt aber in der Regel der Teil, in dem von möglichen Kosteneinsparungen berichtet wird. Denn dies ist in der Regel nicht der Fall. Schon unter Hermann Gröhe bedeuteten einige Gesetze – vor allem im Bereich Pflege – steigende Ausgaben. Und diese schlagen sich nun, zusammen mit den ersten Jens Spahn-Projekten, in den Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung nieder.
125,2 Milliarden Euro haben die gesetzlichen Krankenkassen im ersten Halbjahr 2019 ausgegeben – 544 Millionen Euro mehr als sie eingenommen haben. Die Einnahmen stiegen zum Vorjahreszeitraum um 3,6 Prozent; die Ausgaben um 4,7 Prozent. Erstmals seit 2015 lag der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz wieder unter der 1-Prozent-Marke: Zum Stichtag am 1. Juli lag er bei 0,99 Prozent. Minister Spahn hatte eine Entlastung der Versicherten versprochen. Der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz lag gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 0,1 Prozentpunkte niedriger.

Die Ersatzkassen verbuchten im ersten Halbjahr mit -297 Millionen Euro das größte Defizit, gefolgt von den Betriebskrankenkassen (-126 Mio. Euro), den Innungskrankenkassen (-95 Mio. Euro) und den Allgemeinen Ortskrankenkassen (-68 Mio. Euro). Die Knappschaft-Bahn-See und die Landwirtschaftliche Krankenversicherung erzielten Einnahmenüberschüsse von 24 und 18 Millionen Euro. Das Bundesgesundheitsministerium verwies bei Veröffentlichung der Daten darauf, dass die angegebenen Ausgaben in vielen Leistungsbereichen auf Schätzungen basierten, weil noch nicht alle Abrechnungsdaten vorgelegen hätten. Im Ministerium wird davon ausgegangen, dass die Leistungsausgaben der Krankenkassen um 4,8 Prozent und die Verwaltungskosten um 0,9 Prozent stiegen. Die Zahlen zeigen auch, dass die Impfkampagnen und Ausweitung der Impfleistungen zulasten der GKV erste Erfolge zeigen: Die Ausgaben für Schutzimpfungen stiegen mit 13,8 Prozent deutlich höher als die Arzneimittelausgaben insgesamt (4,9 Prozent). Die Einsparungen durch Rabattvereinbarungen mit pharmazeutischen Unternehmen stiegen um 8,3 Prozent. Ansonsten bilden die Ausgabenentwicklungen vor allem höhere Zuwachsraten durch höhere Vergütungen bei extrabudgetären psychotherapeutischen Leistungen (+14,5 Prozent), Hochschulambulanzen (+23,5 Prozent) und spezialisierter Palliativversorgung (+15,6 Prozent) ab. Die vertragsärztliche Vergütung stieg so insgesamt um rund 4 Prozent. Honorarsteigerungen in verschiedenen Disziplinen ließen die Ausgaben für Heilmittel um 13 Prozent steigen.

SPD will die Pflegebürgerversicherung    

Die Sozialdemokraten legen sich auf eine Weiterentwicklung der sozialen Pflegeversicherung nach den Vorschlägen von Prof. Rothgang fest.

Im Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion heißt es: „Die Weiterentwicklung der sozialen Pflegeversicherung zu einer Pflegebürgerversicherung ist der nächste notwendige Schritt.“ Ziel sei insbesondere eine solidarische Pflegeversicherung zu schaffen. Die private Pflegeversicherung wird hingegen kritisch betrachtet, da sie „Versicherte mit wesentlich höheren Einkommen und wesentlich geringerem Krankheits- und Pflegerisiko versorgt, hat sie pro Versichertem einen deutlich geringeren Aufwand als die soziale Pflegeversicherung. So hat sie mittlerweile über 34 Milliarden Euro Rücklagen angesammelt – Geld, das nicht für die Verbesserung der Pflege eingesetzt wird“. Die SPD wolle darüber hinaus eine Deckelung individuell zu tragender Eigenanteile an den pflegebedingten Kosten erreichen. Und zwar über den sogenannten Sockel-Spitze-Tausch, den der Pflegewissenschaftler Prof. Dr. Heinz Rothgang von der Universität Bremen vorgeschlagen hat. Danach sind dann nicht mehr die Zuschüsse der Pflegeversicherung gedeckelt, sondern die von den Pflegebedürftigen selbst zu tragenden Eigenanteile für die Pflege. Langfristig könne dem SPD-Positionspapier nach auch darüber nachgedacht werden, die Pflegeversicherung zu einer Vollversicherung weiterzuentwickeln, indem die Höhe der Eigenanteile an den Pflegekosten nach und nach gegen Null abgesenkt wird.

Das alles ist der SPD noch nicht genug: „Weiterhin setzen wir uns für eine finanzielle Entlastung der Pflegeversicherung ein, indem die volle Kostenverantwortung für die medizinische Behandlungspflege wie im ambulanten Bereich von der Krankenversicherung übernommen wird.
Im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel fordern wir einen Zuschuss aus Steuermitteln.“

Aggressive Keime im OP    

Multiresistente Keime sind in aller Munde. Welche Rolle der OP-Saal in Sachen Infektionsrisiko spielt, wurde zu lange nicht ernst genommen.

Die erste OP-Raum-Tagung zeigte, dass wir in deutschen Krankenhäusern Probleme haben, die es zu beheben gilt. „Wenn man sich die deutsche Krankenhauslandschaft anschaut, so ist festzustellen, dass der Bestand an Krankenhäusern bis auf Ausnahmen sehr alt ist, dass über Jahre oft nichts grundlegend verbessert wurde. Das liegt vor allem an der Klinik-Finanzierung und den Gesetzen zu Plankrankenhäusern. Die Infektionsentstehung nach Operationen, das ist mit Studien belegt, ist aber zu über 50 Prozent den Bedingungen in OP-Räumen zuzuschreiben. Dazu zählen mehrere Faktoren, wie z.B. die Raumlufttechnik, in Abhängigkeit davon das Prozessmanagement, die OP-Bekleidung sowie Maßnahmen am Patienten", sagt Prof. Dr. Karin Büttner-Janz, die seit 2005 APL-Professorin der Charité Berlin ist und zuvor langjährige Chefärztin an den Vivantes Kliniken war.“ Zwar setzt die DIN 1946-4:2018 für besonders infektionsgefährdete Operationen, wie etwa an großen Gelenken, an der Wirbelsäule, am Herz, an Blutgefäßen, bei Tumoren, mit der Raumklasse Ia/turbulenzarme Verdrängungsströmung, bewusst einen hohen Standard, doch trotzdem kommt es zu mehr anstatt zu weniger Infektionen.


Das liege insbesondere an den immer aggressiver werdenden Keimen, so Prof. Rudolf Ascherl, Chefarzt der Kliniken Nordoberpfalz AG Tirschenreuth. Resistenzen sind ein weltweites Problem, Keime, die einmal in den Körper des Patienten gelangt sind, können zudem einen Biofilm bilden, der sich teilweise erst Monate bis Jahre nach der OP klinisch manifestiert. Besonders gefährlich sind Infektionen nach dem Einsatz von Endoprothesen, denn Bakterien lieben die Oberfläche von Fremdkörpern, sie haften auf der Oberfläche und bilden einen gefährlichen Biofilm.

Prof. Rudolf Ascherl erklärte bei der Tagung, dass jedes Jahr 390.000 Endoprothesen in Deutschland eingesetzt werden. Das entspricht einem Umsatz von 6,4 Milliarden Euro. Hinzu kommen Folgeoperationen, die durch planmäßige Prothesenwechsel oder Reimplantationen aufgrund von Infektionen zu Stande kommen. Diese allein schlagen jährlich mit rund 2,1 Milliarden Euro zu Buche. Besonders beunruhigend sei, dass die Zahl der Infektionen mit der steigenden Anzahl an Operationen nicht abnehme, sondern sogar zunehme. Das zeige nicht nur, dass die viel diskutierten Mindestmengen kaum von Bedeutung sind, sondern auch, dass wir es mit immer aggressiveren Keimen zu tun haben. Der Spezialist für septische Chirurgie ist alarmiert. Wie schwerwiegend die Folgen sein können, das machte Ascherl anhand von Röntgenbildern deutlich. Manchmal seien Amputationen unausweichlich, in anderen Fällen überleben die Patienten die Infektionen nicht einmal.

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