Berlin-Chemie Newsletter vom 14.07.2014

Berlin-Chemie Newsletter vom 14.07.2014

  • Alternativlos – Ärzte vernetzen sich
  • Problemlos - Apotheker beraten
  • Hilflos – BGH urteilt
  • Ruhelos - KBV-Ärzte klagen
  • Zügellos - Sozialbeiträge steigen
  • Folgenlos – Patientenquittung läuft leer
  • Substanzlos – TK zahlt
  • Grenzenlos – OECD Gesundheitsausgaben wachsen

Alternativlos – Ärzte vernetzen sich

18 Prozent Steigerung binnen zwei Jahren zeugt von zunehmender Attraktivität. Die Anerkennung von Praxisnetzen durch den Gesetzgeber wirkt offenbar.

Laut einer aktuellen infas-Umfrage sind rund 45.600 Vertragsärzte vernetzt. Das ist jeder dritte Mediziner in Niederlassung. Die Zahl stieg damit innerhalb von zwei Jahren um 18 Prozent. Dies ermittelte das Meinungsforschungsinstitut infas im Ärztemonitor 2014. Für Dr. Veit Wambach, Vorstandsvorsitzender der Agentur deutscher Arztnetze, ist es nun an der Zeit, die rechtlichen Rahmenbedingungen an die Versorgungswirklichkeit anzupassen und die Arbeitsbedingungen für die rund 400 Ärztenetze in Deutschland weiter zu verbessern.

Das Interesse an Ärztenetzen fällt allerdings noch regional unterschiedlich aus. Spitzenreiter beim Organisationsgrad in vernetzten Strukturen sind Schleswig-Holstein (49 Prozent) und Westfalen-Lippe (40 Prozent). Vergleichsweise wenig vernetzte Ärzte ermittelte infas dagegen in Berlin (24 Prozent), Sachsen (20 Prozent) und Sachsen-Anhalt (17 Prozent). Von den Befragten, die nicht in einem Netz organisiert sind, bekundeten 49 Prozent, bereits darüber nachgedacht zu haben, sich an einer Kooperation zu beteiligen. Wiederum 45 Prozent hiervon gaben an, schon ein entsprechendes Beratungsgespräch geführt zu haben. Wichtige Grundpfeiler zu dieser positiven Entwicklung hat die Bundesregierung mit der Anerkennung von Praxisnetzen in § 87b SGV B gelegt. Dabei darf es nach Ansicht der Studienauftraggeber jedoch allein nicht bleiben. Die sozialrechtliche Stellung der Kooperationen müsse angesichts des gestiegenen Interesses weiterhin dringend verbessert werden. Im Vergleich zu anderen Arztgruppen sehen sich die Netze politisch unterbewertet. Die Förderung vernetzter Strukturen müsse daher konsequent ausgebaut werden. Nächster Schritt sei, Ärztenetze als Leistungserbringer im Sozialgesetzbuch anzuerkennen. Damit wären die Verbünde endlich in der Lage, regionale Versorgungsverantwortung zu übernehmen, erklärt Wambach. Als konkretes Beispiel benennt er Medizinische Versorgungszentren (MVZ), die dann von Ärztenetzen betrieben werden könnten.

Problemlos - Apotheker beraten

Apotheker planen Neuausrichtung der Geschäftstätigkeit. Entlastung der Ärzte bei der Arzneimitteltherapie durch „strategisches Medikationsmanagement“.

„Apotheke 2030“ lautete der Titel eines Strategiepapiers, das die ABDA ihren Mitgliedern als Wegweiser für eine mittelfristige Geschäftsplanung an die Hand gibt. Damit wollen die Apotheker künftig die Patientenberatung in den Mittelpunkt stellen. Weg von der Laufkundschaft und Drogerie-Kosmetik soll eine enge Kundenbindung gerade im Kernkompetenzbereich mit Blick auf chronisch kranke und ältere Menschen hergestellt werden. Feste Termine zur regelmäßigen Absprache der Medikation und die richtige Anwendung sollen die Lebensqualität verbessern helfen. Wiederholungsrezepte könnten direkt vom Apotheker auch ohne Arztbesuch ausgestellt werden, bietet die ABDA als eine Entlastung für die Praxen an. Die Therapiehoheit des Arztes solle jedoch unangetastet bleiben. Den Begriff „Medikationsmanagement“ wollen die Apotheker künftig deshalb nur verwenden, wenn sich an eine Medikationsanalyse eine kontinuierliche Betreuung durch ein „interdisziplinäres Team“ anschließt.

Hilflos – BGH urteilt

Anonymität im Internet geht vor Auskunftsanspruch des Betroffenen. Onlinedienst muss Kritiker nicht preisgeben.

Der Bundesgerichtshof (BGH) stuft in einem Grundsatzurteil (Az: VI ZR 345/13) den Schutz der Anonymität im Internet höher ein, als den Auskunftsanspruch und das Persönlichkeitsrecht eines von anonymer Kritik betroffenen Mediziners. Konkret hat der BGH den Auskunftsanspruch gegen das hessische Arztbewertungsportal Sanego zurückgewiesen. Der VI. Zivilsenat gab dem Onlinedienst Recht, der einem von Kritik betroffenen Arzt nicht die Daten eines anonymen Nutzers preisgeben wollte. Der Mediziner sah sich dadurch in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt und klagte. Sanego wiederum berief sich darauf, dass solche Internet-Dienste laut Telemediengesetz anonym bereitgestellt werden müssen. In den beiden Stuttgarter Vorinstanzen hatte der Arzt weitgehend Recht bekommen. Daraufhin legte Sanego in der Frage des Auskunftsanspruchs Revision ein.

Im Schutz der Anonymität dürften keine verleumderischen Behauptungen aufgestellt werden, so der Kläger. Die Meinungsfreiheit schütze keine unrichtigen Tatsachenbehauptungen. Im vorliegenden Fall seien über den Arzt objektiv falsche Behauptungen aufgestellt worden. Bei solchen Verleumdungen stehe dem Mediziner Schadenersatz zu. Neben einem möglichen Umsatzrückgang gehe es dabei auch um immaterielle Werte wie im Fall einer Rufschädigung. Sanego verwies jedoch auf eine Bestimmung in §13 des Telemediengesetzes (TMG), wonach ein Anbieter von Internet-Diensten deren Nutzung anonym oder unter Pseudonym ermöglichen muss. Der BGH gab Sanego insoweit Recht.

Ruhelos - KBV-Ärzte klagen

Die gefühlte Stundenbelastung geht zurück, aber die Zeit für Patienten bleibt knapp. Qualifiziertes Personal zur Übernahme von Verwaltungsaufgaben fehlt in den Praxen.

Leicht zurückgegangen von durchschnittlich 57,6 auf 55,7 Stunden bei den Haus- und von 55,3 auf 52,5 bei den Fachärzten ist laut Selbsteinschätzung der Mediziner die wöchentliche Arbeitsbelastung der Niedergelassenen. Der Wunsch nach mehr Zeit für die Patienten und einer besseren Bezahlung für diesen Zeitaufwand bleibt jedoch groß. Diese widersprüchliche Befindlichkeit deckt der 2. Ärztemonitor auf. NAV-Vorsitzender Dr. Dirk Heinrich gab bei der Vorstellung der Umfrage dazu den Rat: "Wir müssen uns auf die wirklich Kranken konzentrieren." Die "Überinanspruchnahme" des Systems führe zu Verwerfungen und Widersprüchen, die den niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten als Rahmenbedingungen ihre Arbeit erschweren würden.

Dennoch: „Meine Arbeit macht mir Spaß“ erklären 93 Prozent der niedergelassenen Hausärzte, 95 Prozent der Fachärzte und 99 Prozent der Psychotherapeuten stimmen dieser Aussage zu. Das ist eines der herausragenden Ergebnisse aus dem Ärztemonitor 2014, den das Meinungsforschungsinstitut infas im Auftrag der KBV und des NAV-Virchow-Bundes durchgeführt hat. „Die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen identifizieren sich in hohem Maße mit ihrer Arbeit“, erklärt Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV. Deutlich machen das auch folgende Zahlen: Mehr als 80 Prozent der Ärzte und Psychotherapeuten würden ihren Beruf erneut ergreifen und fast 100 Prozent empfinden ihre Arbeit als nützlich. Trotz positiver Grundstimmung sind 39 Prozent der Praxisärzte unzufrieden mit der wirtschaftlichen Situation und 46 Prozent beklagen eine fehlende finanzielle Planungssicherheit. Die ständig steigende Bürokratie sowie der wirtschaftliche Druck führten dazu, dass 67 Prozent der Praxisärzte sich wünschen, ihre Arbeitszeit zu reduzieren: „Die Generation Selbstausbeutung gehört in Kürze der Vergangenheit an“, so Heinrich. 40 Prozent sind unzufrieden damit, dass sie zu wenig Zeit für ihre Patienten übrig haben und 81 Prozent wünschen sich, mehr Verwaltungsaufgaben delegieren zu können. Groß ist der Wunsch nach einer Entlastung von Verwaltungsarbeit durch Praxispersonal. Aber 68 Prozent sehen trotzdem keinen Raum für Delegation von Aufgaben. Denn 77 Prozent wiederum beklagen, dafür kein geeignetes Personal zu finden.

Zügellos - Sozialbeiträge steigen

IfW prognostiziert fast 20 Prozent Rentenbeitrag bis 2020. Stiftung Marktwirtschaft sieht steigende Nachhaltigkeitslücke durch Mütterrente und 63-Regelung.

Die jüngsten Wohltaten der rot-schwarzen Bundesregierung haben ihren Preis. Um bis zu 6.500 Euro könnte die Gesamtbelastung aus Sozialbeiträgen pro Kopf und Jahr steigen, so zumindest rechnet das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) der Bundesregierung die Auswirkungen der jüngsten Reform vor. Die Verbesserung der Betreuung von Demenzkranken macht die Pflegeversicherung teurer. Die Krankenkassen können in eigener Entscheidung je nach Bedarf Zusatzbeiträge erheben. Der größte Brocken dürfte mittelfristig aber durch die Rentenreform erwachsen. Wesentliche Kosten verursachen hier die Mütterrente und eine Verrentung ab 63. Mit diesen Änderungen verlasse die Bundesregierung den Weg zur Reduktion der Gesamtschuldenlast, so assistiert auch die Stiftung Marktwirtschaft in ihrem Update 2014 zur Generationenbilanz. Demnach steigt die Nachhaltigkeitslücke aus expliziten (im Bundeshaushalt ausgewiesene Quote von 81 %) und impliziten Staatsschulden (der Sozialversicherungen mit 159,5%) in der Folge für Deutschland erneut an und beläuft sich aktuell auf 241% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) - Basisjahr 2012. Umgerechnet entspricht dies der Summe von 6,4 Billionen Euro. „Zur Begleichung dieser Gesamtschuldenlast müsste jeder heute lebende Bürger unabhängig von bestehenden Steuern und Sozialabgaben bis zu seinem Lebensende einen zusätzlichen Betrag von 300 Euro pro Monat an den Staat abführen“, erläutert Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen, Vorstandsmitglied der Stiftung Marktwirtschaft.

Folgenlos – Patientenquittung läuft leer

Patienten begrüßen Transparenz zu Behandlungskosten. KV kritisiert Quittung als Mogelpackung.

Vor drei Jahren gestartet, verzeichnet die Krankenkasse exakt 28.518 Teilnehmer in diesem Programm. Das ist bei insgesamt 2,75 Millionen AOK Versicherten in Schleswig-Holstein gerademal knapp ein Prozent. Eine Befragung an der 755 Patienten teilnahmen, zeigt, dass vor allem chronisch Kranke die Praxisquittung dazu nutzen, sich Informationen über die Kosten ihrer Behandlung und Medikamente zu verschaffen. Generell werden die Arzthonorare im ambulanten Bereich über- und die Ausgaben im Klinikbereich unterschätzt. Für die Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holsteins ist das eine „Mogelpackung“. Denn es werde insofern ein falsches Bild gezeichnet, weil die ausgewiesenen Preise Budgets und Abschläge nicht berücksichtigen und damit höhere Honorare vorgaukeln. Die AOK verspricht sich davon dennoch mehr Transparenz und eine Verhaltensveränderung bei ihren Versicherten, wie ein Drittel der Befragten auch zusichern.

Substanzlos – TK zahlt

Die Techniker Krankenkasse bietet Medizinern die Rückkehr zur Einzelleistungsvergütung. Ärzteverbände reagieren verhalten optimistisch.

Der Vorschlag kommt überraschend. Die Techniker Krankenkasse will die ärztliche Honorierung im ambulanten Sektor durch die Abschaffung der Pauschalierung und einer Rückkehr zur Einzelleistungsvergütung reformieren. TK-Vize Thomas Ballast steht dazu bereits in Gesprächen mit interessierten Kassenärztlichen Vereinigungen. Laut Berechnungen des IGES-Instituts soll sich das „stark konfliktbeladene System“ mit nachträglichen Vergütungsabschlägen künftig stärker am Bedarf orientieren. Die Honorierung soll aus einem Mix erfolgen: Fixkosten werden zu einem Drittel und variablen Kosten mit zwei Drittel gewichtet - nach Arztgruppen unterschieden. Die Kosten dafür schätzt IGES-Geschäftsführer Karsten Neumann auf einmalig 1,3 bis 1,4 Milliarden Euro, was einer Steigerung zwischen 5,4 und 5,9 Prozent als „einmaliger Treppeneffekt“ entspräche. Ballast strebt eine GKV-übergreifende Lösung an, hat aber dazu noch keine andere Krankenkasse gewinnen können. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat bereits Gesprächsbereitschaft signalisiert.

Grenzenlos – OECD Gesundheitsausgaben wachsen

Mit zwei Prozent liegt Deutschland über dem Durchschnitt der OECD-Länder.

Gesundheit ist gerade in Ländern mit demographischem Wandel ein Wachstumsmarkt. In Deutschland beliefen sich die Gesamtausgaben für Gesundheit im Jahr 2012 auf 11,3% des BIP. Sie liegen damit um zwei Prozentpunkte über dem Durchschnitt der OECD-Länder (9,3%). In den Vereinigten Staaten (16,9%), den Niederlanden (11,8%), Frankreich (11,6%) und der Schweiz (11,4%) ist der Anteil höher. Der öffentliche Sektor finanziert in den meisten OECD-Staaten den Großteil der Gesundheitsausgaben. Dies trifft auch auf Deutschland zu, wo der Anteil der öffentlichen Hand mit 77% leicht über dem OECD-Durchschnitt von 72% liegt. Die Gesundheitsausgaben der OECD-Länder wachsen insgesamt wieder, ihr Anstieg bleibt aber weit unter jenem der Vorkrisenzeit. Wie aus dem aktuellen Bericht der OECD hervorgeht, sinkt gerade bei den europäischen Krisenländern der Anteil der Gesundheitsausgaben. Deutschland und Österreich verzeichnen zwischen 2011 und 2012 ein Wachstum von einem bzw. drei Prozent. In beiden Ländern liegen die Ausgaben gemessen am Bruttoinlandsprodukt weit über dem OECD-Durchschnitt.

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