Berlin-Chemie Newsletter vom 14. Mai 2020

Berlin-Chemie Newsletter vom 14. Mai 2020

Interview:

  • Methode Nudging: Gesundes Verhalten einfacher und attraktiver machen
    EinBlick sprach mit Dr. Mathias Krisam, Gründer und Geschäftsführer der läuft GmbH

Kurzstrecke:

  • Innovationsfonds wird angenommen
    G-BA erhält über 250 Einreichungen

  • Überblick behalten
    Guide informiert über europäischen Pharmamarkt

  • Schneller Zuschuss für die Pflege
    Forderung des GKV-Spitzenverbandes

  • Krankschreibung am Telefon
    Leistung bis zum 18. Mai verlängert

Young Health:

  • Junge Ärzte fordern mehr Mitsprache in der Politik
    Max Tischler über die Ziele des Bündnis Junger Ärzte (BJÄ)

 Meldungen:

  • Mögliche Corona-Behandlung
    Asklepios-Kliniken in Hamburg wollen Erkrankten mit gesundem Blutplasma helfen

  • Krankenhaus-Konzept von Jens Spahn
    Kliniken sollen planbare Operationen wieder durchführen

  • Corona im Überblick behalten
    Welche Maßnahmen der neue Gesetzesentwurf vorsieht

  • Künstliche Intelligenz
    Forschungsinstitut veröffentlicht Whitepaper mit Empfehlungen und Herausforderungen


Methode Nudging: Gesundes Verhalten einfacher und attraktiver machen

Einblick sprach mit Dr. Mathias Krisam, Gründer und Geschäftsführer der läuft GmbH

 

 
 Dr. Mathias Krisam

 
 Der Arzt und Sozialwissenschaftler beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit der Methode
 Nudging im Kontext von Gesundheit. 2019 setzte er erstmals ein Projekt dazu um:
 Gemeinsam mit einer Kreativagentur ließ er humorvolle Sprüche auf die Treppen in einem
 Bahnhof in Berlin drucken. Sein Ziel: Menschen sollten die Treppe anstelle der Rolltreppe
 nutzen. Noch im selben Jahr gründete er die Beratungsagentur läuft GmbH,
 die Unternehmen im Gesundheitssektor berät, um gesundes Verhalten einfacher und attraktiver
 zu gestalten.

 

Was ist Nudging und worum geht es bei diesem Konzept?
Nudging ist eine Methode, um Menschen zu einer für sie guten Entscheidung wortwörtlich »anzustupsen« – und das ohne Verbote. Ursprünglich stammt der Begriff aus der Verhaltensökonomie. Die Grundlage von Nudging ist eine Theorie des Entscheidungspsychologen und Nobelpreisträgers Daniel Kahnemann. Er geht davon aus, dass Menschen zwei Denksysteme haben. System 1 entscheidet über automatisch und eher unbewusst ablaufende Prozesse, wie essen oder gehen, Denksystem 2 ist das bewusste System. Das nutzen Menschen, um neue Dinge zu lernen oder komplexe Auf-gaben zu lösen. Nudging baut auf dem System 1 auf. Dabei überlegen wir, wie wir die Entscheidungsumgebung so ändern können, damit Menschen automatisch eine für sie gesunde Entscheidung treffen. Ein anschauliches Beispiel: Positionieren wir Obst auf Augenhöhe oder näher an Verbrauchern, wird es häufiger genommen.
 
Was bedeutet Nudging im Gesundheitswesen?
Wir können das mit »dem Stubser oder auch Impuls zur besseren Gesundheit« übersetzen. Im Grunde genommen stellen wir uns immer wieder die Frage, wie wir gesundes Verhalten einfacher und attraktiver machen können. Dafür müssen wir verstehen, warum Menschen sich so verhalten, wie sie sich verhalten. Häufig sind es Banalitäten, warum Menschen gewisse Dinge tun oder nicht tun. Vor allem arbeitet Nudging mit automatischen Verhaltensmustern und nicht mit rein informativen Aspekten, die primär auf einer bewussten Ebene stattfinden. Denn wenn wir ehrlich sind, scheitert gesundes Verhalten nicht daran, dass wir nicht wissen, wie wir uns gesünder ernähren oder mehr bewegen könnten. Oft sind wir in Routinen gefangen, zu bequem oder vergessen etwas einfach – was zum Beispiel ein Grund für unnötig niedrige Impfquoten ist. Im Bereich der Gesundheitsförderung haben wir beispielsweise im vergangenen Jahr eine Bahnhofstreppe mit humorvollen Sprüchen bedruckt. Auf der Treppe stand unter anderem »A Treppe a day keeps the doctor away«. Allein durch diese Kampagne haben am Tag die Treppe 1.200 Menschen mehr genutzt. Die Menschen sind die Treppe automatisch hochgegangen, ohne dass wir sie rational davon überzeugen mussten. Den Nutri-Score sehe ich übrigens auch als Nudge an.

Welche Nudges können Menschen in der Corona-Zeit sich selbst erschaffen, um gesünder zu leben?
Für psychisches Wohlbefinden ist es wichtig, eine Alltagsstruktur zu haben. Dafür reicht schon ein einfacher Wochenplaner, um dort schriftlich festzuhalten, wann ich arbeite, Privatleben habe, Sport mache oder Zeit mit Familie und Freunden verbringe. So schaffen Menschen eine bessere Trennung zwischen Arbeits- und Privatleben. Wenn Menschen sich zudem mit Freunden für Freizeitaktivitäten verabreden, steigt die Verbindlichkeit und damit die Wahrscheinlichkeit es auch wirklich zu tun. Um nicht zu viel Süßes zwischendurch zu naschen, können Süßigkeiten in kleine Portionen gepackt werden und irgendwo oben im Schrank verstaut werden. Einen Apfel essen wir zudem mit höherer Wahrscheinlichkeit, wenn er geschnitten in kleinen Portionen auf einem schönen Teller angerichtet ist.



 

Anbindung an Telematik-Infrastruktur in Sicht

 
»Die Apotheker begrüßen die baldige Anbindung an die Telematik-Infrastruktur, die eine bundeseinheitliche und sichere Verbindung zwischen Heilberuflern sowie einen echten Mehrwert für Patienten schafft«, sagt Dr. Hans-Peter Hubmann, Stellvertretender DAV-Vorsitzender. »Die Finanzierung durch die Krankenkassen ist gesichert, aber nun müssen auch die Hersteller die notwendigen E-Health-Konnektoren auf den Markt bringen, die das Herzstück für die sichere Vernetzung darstellen.«
 
Die 19.000 Apotheken in Deutschland können ab sofort die notwendige Hardware bestellen, um den elektronischen Medikationsplan für ihre Patienten bearbeiten zu können und auch für weitere Anwendungen wie das E-Rezept vorbereitet zu sein. Darauf haben sich Deutscher Apothekerverband (DAV) und der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in einer neuen Refinanzierungs-vereinbarung für die Telematik-Infrastruktur (TI) geeinigt.


Kurzstrecke


Innovationsfonds wird angenommen

G-BA erhält über 250 Einreichungen

Über 250 Projektanträge erreichten den Innovationsausschuss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Die Bewerberinnen und Bewerber konnten Ideen in den Bereichen der Versorgungsforschung und der neuen Versorgungsformen abgeben. Im dritten und vierten Quartal dieses Jahrs wird der Innovationsausschuss voraussichtlich entscheiden, welche Projekte der Gemeinsame Bundesausschuss mit seinem Innovationsfonds finanziell fördert.
 
»Unter den Projektanträgen sind beispielsweise auch solche zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten im Allgemeinen und zu COVID-19 im Speziellen«, sagt Prof. Josef Hecken, Vorsitzender des Innovationsausschusses. Interessierte, die die Abgabefrist nicht einhalten konnten, haben die Möglichkeit im Laufe des Jahres sich erneut zu bewerben. Der Ausschuss plant weitere Förderbekanntmachungen.

Überblick behalten

Guide informiert über europäischen Pharmamarkt

Die Arzneimittelregulierung in Europa ändert sich kontinuierlich. Um dabei den Überblick nicht zu verlieren, hat das IGES-Institut die Neuauflage eines europäischen Pharmamarkt-Guides veröffentlicht. Der Guide zeigt die aktuellen Zulassungs-, Preisbildungs- und Erstattungssysteme der fünf größten europäischen Länder. Das sind Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien und Spanien. Diese Länder machen mit 138 Milliarden Euro mehr als zwei Drittel des gesamten EU-Pharmamarktes aus.
 
Das 65-seitige Buch liefert Marktdaten und Grundinformationen zu den jeweiligen Sozial- und Gesundheitssystemen. In einem Kapitel informiert es zum Beispiel über die Entwicklung im Bereich der Bewertung medizinischer Verfahren.
 
Reimbursement and Pricing of Pharmaceuticals in Europe
65 Seiten, in englischer Sprache
Herausgeber: IGES Institut, 2020
Printexemplare können bei Agata Daroszewska per E-Mail dar@iges.com
oder telefonisch unter (030) 23 08 09 40 angefordert werden.­

Schneller Zuschuss für die Pflege

Forderung des GKV-Spitzenverbandes

Der GKV-Spitzenverband fordert Klarheit über einen Bundeszuschuss für den Pflegebonus. Pflegekräfte sollen mit einem einmaligen Bonus von bis zu 1.500 Euro für die hohen Belastungen während der Corona-Epidemie Wertschätzung erfahren. »Es ist gut, dass die Beschäftigten in der Altenpflege nun bald Klarheit bekommen«, sagt Gernot Kiefer, Vize-Vorstandschef des GKV-Spitzenverbands. Wichtig sei für ihn jedoch, dass am Ende nicht zwei Drittel der Kosten aus den Beitragsmitteln der Pflegeversicherungen bezahlt werden. Gesundheitsminister Jens Spahn und Arbeitsminister Hubertus Heil hatten vorgeschlagen, dass Pflegekassen, Länder und Arbeitgeber sich die Kosten teilen. Dabei sollen Kassen zwei Drittel der Kosten übernehmen. Die Entscheidung über den Pflegebonus soll im Herbst getroffen werden.
 
Der GKV-Spitzenverband setzt auf ein schnelleres Verfahren. »Wenn sich doch alle einig sind, dass dafür eine Refinanzierung aus Steuermitteln kommen soll, dann kann man das auch schon jetzt entscheiden«, so Kiefer.            ­

Krankschreibung am Telefon

Leistung bis zum 18. Mai verlängert

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat die Krankschreibung per Telefon um zwei Wochen verlängert. Damit können Ärztinnen und Ärzte ihren Patienten nun bis zum 18. Mai auch am Telefon eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis zu sieben Tage ausstellen. Die telefonische Anamnese beschränkt sich auf Erkrankungen der oberen Atemwege, die keine schweren Symptome aufweisen.
 
Unabhängig von der Ausnahmeregelung gilt, dass Patientinnen und Patienten bei typischen COVID-19-Symptomen oder nach Kontakt zu COVID-19-Patienten vor dem Arztbesuch telefonisch Kontakt zur Praxis aufnehmen und das weitere Vorgehen besprechen. Außerdem hat der G-BA angekündigt, rechtzeitig vor dem Auslaufen der Ausnahmeregelung über eine mögliche erneute Verlängerung zu entscheiden.


young health


Junge Ärzte fordern mehr Mitsprache in der Politik

 
 

 Max Tischler
 
 Er ist Arzt und im fünften Jahr seiner Facharztausbildung zum Hautarzt. Der gebürtige
 Dortmunder ist seit vergangenem Jahr Sprecher des Bündnis Junge Ärzte (BJÄ)







Was sind die Ziele des Bündnis Junge Ärzte?
Wir haben uns 2013 gegründet, um als junge Ärztinnen und Ärzte im Gesundheitswesen zum einen sichtbarer zu werden und zum anderen die klinische Weiterbildung zu verbessern. Unsere Mitglieder sind junge medizinische Berufsverbände und Fachgesellschaften. Mittlerweile haben wir unseren Schwerpunkt der klinischen Weiterbildung ergänzt. Wir schauen uns auch die ambulante Weiterbildung an.
Wir haben uns in den ersten Jahren mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie auseinandergesetzt. Aktuell beschäftigen wir uns mit der Frage, wie die Zukunft des Gesundheitswesens aussieht. Dabei sind die Digitalisierung, die Zeit für Patienten, aber auch die Zeit für Weiterbildung unsere Schwerpunkte.
 
Sie haben vor kurzem einen Brief mit dem BJÄ an die Politik geschrieben.
Dieser stand unter dem Motto #MedizinfürMenschen. Was sind Ihre Anliegen?
Die Forderung unseres Briefes an die Politik war, die junge Generation der Ärztinnen und Ärzte in die Zukunftsgestaltung des Gesundheitswesens mit einzubeziehen. Dabei sehen wir drei große Probleme:
Finanzierung: Es werden oft Profite mit Gesundheit gemacht. Die Wirtschaftlichkeit steht vor der Notwendigkeit.
Offenheit für Digitalisierung: Wir müssen über eine kluge Art der Digitalisierung die Bürokratie abbauen. Die Digitalisierung muss die Menschen im Gesundheitswesen entlasten. Wir wollen zum Beispiel nicht alles doppelt und dreifach dokumentieren müssen.
Zeit für Ärzte und Patienten: Eine gute Weiterbildung ist für Ärzte nur dann sichergestellt, wenn Oberärztinnen und -ärzte sich Zeit für uns junge Ärzte nehmen. Außerdem kann Gesundheitspersonal nur mit genügend Zeit Patienten optimal versorgen.
 
Sie fordern Bürokratieabbau durch mehr Digitalisierung. Was genau müssen Krankenhäuser digitalisieren?
Wir haben wenig sektorenübergreifende Arbeit und die Sektorengrenzen sind unglaublich hoch: Krankenhäuser und Arztpraxen brauchen eine bessere Schnittstelle. Wenn eine medizinische Fachangestellte Blut in einer Praxis abnimmt, wird der gleiche Vorgang im Krankenhaus noch einmal wiederholt, da das Krankenhaus die Blutwerte nicht im System eingebucht hat. Ganz oft fühle ich mich als junger Arzt eher wie ein Sekretär, weil ich alles abtippen muss – seien es Befunde oder Medikamentenlisten. Selbst wenn auf der Medikamentenliste ein QR-Code steht, muss das Krankenhaus einen Scanner besitzen und dieser muss dann auch noch mit den richtigen Systemen verbunden sein – das ist eine Herausforderung.
 
Wie stellen Sie sich eine Zusammenarbeit am »zukunftsfähigen Gesundheitswesen« mit der Politik vor?
Oft fragen uns Politikerinnen und Politiker bei Themen, die uns betreffen, nicht nach unserer Meinung. Dabei wäre es doch sinnvoll, wenn wir uns in Form eines runden Tisches oder während eines Zukunftsforums gemeinsam austauschen. Denn die Politik holt sich oft Meinungen bei den Menschen ein, die unseren Alltag gar nicht mehr mitbekommen. Chefärzte schreiben für gewöhnlich keine Visitendokumentation oder noch zahlreiche Arztbriefe am Tag. Wir könnten uns vorstellen, dass wir uns bei Themen, wie der Digitalisierung im Gesundheitswesen, zusammensetzen. Eine ähnliche Forderung haben wir auch an die Bundesärztekammer gestellt. Unsere Expertise sollte in Anspruch genommen werden.
 


Meldungen

 

Mögliche Corona-Behandlung

Asklepios-Kliniken in Hamburg wollen Erkrankten mit gesundem Blutplasma helfen

Genesene Corona-Patienten können ab sofort schwer Erkrankten Covid-19-Patienten helfen. Die Asklepios-Kliniken in Hamburg rufen zur Plasmaspende auf.

Lebensbedrohlich an Sars-Cov-2 Erkrankte sollen laut einer Pressemitteilung der Asklepios-Kliniken erstmals mit einer neuen Immuntherapie behandelt werden. Diese Therapie basiert auf Antikörpern, die die Ärzte aus dem Blutplasma genesener Corona-Patienten gewinnen. »Mit den Antikörpern aus dem Blut von genesenen Patienten wurden bereits andere gefährliche Viruserkrankungen bekämpft, von der Diphterie über die Spanische Grippe bis hin zu Ebola«, erklärt Prof. Dirk Arnold, Chefarzt der Abteilung Onkologie, Hämatologie, Palliativmedizin und Rheumatologie der Asklepios Klinik Altona. Die Ärzte erwarten sich von dem neuen Therapieansatz günstigere Auswirkungen auf die Krankheitsverläufe.
 
Dabei sei das Prinzip der Behandlung immer ähnlich. »Die Antikörper von gesunden Spendern, die die Krankheit überstanden haben, sollen den Krankheitsverlauf der Schwerkranken positiv beeinflussen, indem sie eine passive Immunisierung bewirken«, sagt Arnold. Die Transfusionsmediziner, Laborärzte und Hämatologen hoffen, dass die Antikörper das Coronavirus neutralisieren und den schwer erkrankten Patienten Zeit geben, eine eigene Virusabwehr aufzubauen. Der Beginn der Krankheitssymptome der Corona-Genesenen müsse mindestens vier Wochen zurückliegen. Außerdem muss das gespendete Blutplasma frei von anderen Viren sein. Erst wenn der Genesene eine ausreichende Menge an spezifischen Antikörpern vom Typ Immunglobulin-G (IgG) gebildet hat, können die Ärztinnen und Ärzte das Plasma für die schwerstkranken Patienten verwenden.
 
Die Ärztinnen und Ärzte entnehmen nach der erfolgreichen Blutprobe innerhalb von 45 Minuten insgesamt pro Spende drei Beutel Plasma zu je 220 Milliliter. Der Körper bildet Plasma schon in wenigen Tagen neu.

Krankenhaus-Konzept von Jens Spahn

Kliniken sollen planbare Operationen wieder durchführen

Kliniken sollen Patienten nach und nach wieder regulär versorgen. Das hat nun das Bundesgesundheitsministerium in seinem Konzept »Ein neuer Alltag auch für den Klinikbetrieb in Deutschland« beschrieben. Kritik kommt von mehreren Seiten.
 
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will nach und nach zu einer Normalität in den Krankenhäusern zurückkehren. Einen Teil der Kapazitäten könnten Krankenhäuser wieder für planbare Operationen nutzen. Dabei sollen Kliniken keine Patientengruppe besonders priorisieren. Es müsse weiterhin selbstverständlich bleiben, dass die Versorgung aller Patienten höchsten Stellenwert habe. Patientinnen und Patienten müssen bei Notfällen ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen können. Dennoch sollen die planbaren Operationen weiter begrenzt sein.
 
Konkret sieht das Konzept vor, dass Krankenhäuser weiterhin 25 Prozent ihrer Intensivbetten für Covid-19-Patienten freihalten müssen. Es können jedoch 70 Prozent der Operationen wieder für andere Eingriffe genutzt werden. Trotzdem sollten die Kliniken in der Lage sein, je nach Pandemieverlauf, innerhalb von 72 Stunden weitere Intensiv- und Beatmungskapazitäten zu organisieren.
 
Welche Operationen Ärztinnen und Ärzte priorisieren, hat die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften mit der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie in einer Entscheidungshilfe erarbeitet. Beispielsweise sollten Operationen bei schnell fortschreitenden Erkrankungen bevorzugt erfolgen. Die Länder selbst seien jetzt dazu aufgefordert, Konzepte für die Versorgung und die Vorhaltung der Kapazitäten zu entwickeln.
 
Der Marburger Bund, die Interessenvertretung der Ärztinnen und Ärzte, kritisiert das Konzept. Das Ministerium habe sowohl die komplette Notfallversorgung unerwähnt gelassen, als auch den Fakt, dass knappe Ressourcen, wie ärztliches und pflegerisches Personal, im Konzept unberücksichtigt bleiben. »Im Gegensatz zu Beatmungsgeräten lässt sich medizinisches und pflegerisches Personal nicht innerhalb eines halben Jahres aus dem Hut zaubern«, moniert Dr. Susanne Johna, erste Vorsitzende des Marburger Bundes. Auch die deutsche Krankenhausgesellschaft kritisiert, dass die vorgegebenen Zahlen im Konzept für die meisten Kliniken nicht umsetzbar sind.

Corona im Überblick behalten

Welche Maßnahmen der neue Gesetzesentwurf vorsieht

Den öffentlichen Gesundheitsdienst stärken, in Deutschland flächendeckend testen und Meldepflichten erweitern – EinBlick gibt einen Überblick über den Gesetzesentwurf zum zweiten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite.
 
»Wir wollen Corona-Infizierte künftig schneller finden, testen und versorgen können«, erklärte Gesundheitsminister Jens Spahn anlässlich des vor kurzem vorgestellten Gesetzesentwurf. »Nur so können wir Infektionsketten wirksam durchbrechen und einen unkontrollierten Ausbruch der Epidemie in Deutschland verhindern.«
 
Um die Zahl der Infizierten besser erfassen zu können, soll pro 20.000 Einwohner ein Team aus fünf Personen daran arbeiten, Kontaktpersonen von Infizierten nachzuverfolgen. Sowohl Personen aus anderen Bereichen der öffentlichen Verwaltung als auch Medizinstudierende sollen die Teams personell verstärken. Damit Prozesse einfacher laufen, will die Politik etwa 50 Millionen Euro für die 375 Gesundheitsämter in der Bundesrepublik für Digitalisierung bereitstellen. Außerdem sollen Ärztinnen und Ärzte noch mehr testen. Labore müssen dazu künftig auch negative Testergebnisse melden. Die Krankenkassen müssen Tests zahlen, unabhängig welche Symptome und Anzeichen einer Erkrankung vorliegen. In Pflegeheimen soll verstärkt auf Corona-Infektionen getestet werden. Pflegekräfte sollen für ihren Einsatz eine Prämie erhalten.
 
Darüber hinaus plant die Bundesregierung die Ausbildungen in den Gesundheitsberufen flexibler zu gestalten. Zahnärzte könnten beispielsweise ihre Prüfung an einem Dummy ablegen, Ergotherapeuten erhalten neue Härtefallregelungen. Außerdem übernimmt der Bund als Zeichen der europäischen Solidarität die Kosten für die intensivmedizinische Behandlung von Patientinnen und Patienten aus dem europäischen Ausland, wenn die Patienten in ihrem Heimatland nicht behandelt werden können. Der kontrovers diskutierte Immunitätsausweis wurde aus dem Gesetzesentwurf gestrichen.

Künstliche Intelligenz

Forschungsinstitut veröffentlicht Whitepaper mit Empfehlungen und Herausforderungen

Künstliche Intelligenz (KI) ist mittlerweile ein fester Bestandteil in der Medizin. Welche Herausforderungen für die IT-Sicherheit KI mit sich bringt, hat das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) in dem aktuellen Whitepaper »Sichere KI-Systeme für die Medizin« beleuchtet. Das KIT ist ein nationales Forschungszentrum innerhalb der Helmholtz-Gemeinschaft.
 
KI-basierte Assistenzsysteme unterstützen das frühe Erkennen von Krankheiten, ermöglichen ein schnelles Auswerten großer Mengen von Bild- und Labordaten und bieten die Chance für individuelle Therapien. Damit kann KI zu einer besseren Gesundheitsversorgung beitragen. Dennoch müssen laut den Autoren des Papers Anwenderinnen und Anwender Faktoren wie Datenschutz besonders beachten. »KI-Systeme brauchen große Datenmengen, damit sie aus ihnen lernen können. Die Herausforderung besteht darin, Patientendaten sowohl zu nutzen als auch zu schützen«, sagt Jörn Müller-Quade, Professor für Kryptographie und Sicherheit am KIT und einer der Autoren. Durch die vielen verschiedenen Akteure im Gesundheitswesen hätten viele Personen potenziellen Zugriff auf die Patientendaten. »Dies macht es schwierig, sensible Gesundheitsdaten vor unberechtigtem Zugriff zu schützen.«
 
Die Autoren des Papers halten vor allem die Zertifizierung von KI-Systemen und -Datenbanken in der Medizin durch unabhängige Prüfstellen für wichtig. Auch die geplante elektronische Patientenakte (ePA) müsse von unabhängigen Zertifizierungsstellen geprüft werden. Eine besondere Herausforderung sieht Informatiker Müller-Quade im Einsatz weiter lernender KI-Systeme, deren Software sich ohne menschliche Überwachung selbstständig verändert. Er weist daraufhin, dass Ärztinnen und Ärzte vorgeschlagene Ergebnisse nicht unreflektiert übernehmen dürften.
 
Das Whitepaper veranschaulicht in dem fiktiven Anwendungsszenario »Mit KI gegen Krebs« den möglichen Einsatz von KI am Beispiel eines Lungenkrebspatienten. Das Paper wurde von der Plattform Lernende Systeme (PLS) veröffentlicht, ein Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.


Bemerkt
 



 »Macht eine Patientenverfügung, solange ihr gesund seid und die Folgen absehen könnt.«



Dr. Ulrike Koock, Ärztin und Autorin, bloggt unter dem Namen Schwesterfraudoktor www.schwesterfraudoktor.de/mein-blog/


Weiterlesen

 

Wir wollen im EinBlick neben einem Überblick zu Themen der Gesundheitsnetzwerker auch einen Blick auf Debatten und Dokumente werfen.

Gesetz zu Konversationstherapien:
Therapien dürfen sexuelle Orientierung von Minderjährigen nicht verändern.
 
Die Beschlussempfehlung und der Bericht durch den Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages als Drucksache im PDF-Format: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/187/1918768.pdf
 

 Rezension


 Was wirklich wirkt
 Ein Kompass durch die Welt der sanften Medizin
 
 Es kursieren eine Menge an nicht-wissenschaftlicher Informationen zu Corona. Einige
 Menschen wollen Corona homöopathisch behandeln, andere behaupten die Pharma-
 Industrie hätte das Virus entwickelt. Natalie Grams klärt über Themen wie alternative
 Heilmethoden, das Impfen oder homöopathische Mittel auf.
 
 Sie ist Ärztin, selbst ehemalige Homöopathin und Verfechterin der Wissenschaft.
 
 »Wer an der Schulmedizin zweifelt, muss unbedingt dieses Buch lesen!« empfiehl
  Wissenschaftsmoderatorin Mai Thi Nguyen-Kim.
 
Dr. med. Natalie Grams »Was wirklich wirkt – Kompass durch die Welt der sanften Medizin«
Aufbau Verlag 18,00 €
Weitere Informationen: https://www.aufbau-verlag.de/index.php/was-wirklich-wirkt.html
 


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Ohne Schutzausrüstung sehe es in der Versorgung so aus

Mit der spektakulären Aktion »Blanke Bedenken« macht eine Gruppe von Hausärztinnen und Hausärzten aus ganz Deutschland jetzt auf ihre Schwierigkeiten aufmerksam, um die hausärztliche Betreuung während der Corona-Pandemie zu verbessern. Im Internet zeigen sich die Allgemeinmediziner nackt in ihren Praxen: www.blankebedenken.org

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